Strukturwandel macht Gewerkschaft kaputt

Gewerkschafter und Wissenschaftler diskutieren bei der Dortmunder DGB-Konferenz „Erneuerung von unten“ über Wirtschaftsflaute und Arbeitslosigkeit. Gleich am ersten Tag wurde der Sinn regionaler Strukturpolitik in Frage gestellt

DORTMUND taz ■ Welche Handlungsspielräume lassen kapitalistische Globalisierung und postfordistischer Strukturwandel auf lokaler Ebene? Diesen und anderen großen Fragen gehen die 120 Teilnehmer der DGB-Konferenz „Erneuerung von unten“ seit gestern in der Dortmunder Westfalenhalle nach.

„Die Taktzahl der Krisenkonferenzen steigt stetig an“, sagte DGB-Regionschef Eberhard Weber zur Begrüßung. Das aktuelle Beispiel „Hartz IV“ zeige den „Spagat“ der Einheitsgewerkschaft. „Wir protestieren gegen unsoziale Politik, suchen aber auch Gestaltungsspielräume“, so Weber. Im Mittelpunkt des ersten Konferenztages stand die Vorstellung einer Studie des Recklinghäuser Forschungsinstitut Arbeit Bildung Partizipation (FIAB). Die Strukturpolitik in den Städten Chemnitz, Dortmund und Nürnberg haben die Sozialwissenschaftler untersucht (die taz berichtete).

„Wir stellen die These auf, dass radikaler Strukturwandel steuerbar ist“, sagte FIAB-Direktor Klaus Dörre gestern. Den Konferenzteilnehmern machte Dörre die Rasanz der Veränderungen im östlichen Ruhrgebiet an einem Beispiel deutlich: „Der Ordner beim BVB ist ein Beleg für den Strukturwandel.“ Viele der Fußball-Stewards hätten noch bei der Ruhrkohle gelernt, seien wegen der Bergbau-Krise zu Stahlarbeitern umgeschult worden, bevor sie nach Arbeitslosigkeit und ABM-Leben beim Service-Betrieb Borussia Dortmund gelandet seien. „Viele sind Ordner geworden, weil sie sich keine BVB-Tickets leisten können.“

Und doch sei Dortmund ein Beispiel für die Steuerbarkeit des Strukturwandels, so Dörre. „Mit dem Dortmund-Project hat die Stadt einen Wettbewerbsregionalismus etabliert, der auf Kompromissbildungen beruht.“ Anders als in den beiden Vergleichsstädten, habe es die Revierkommune geschafft, Arbeitgeber und Gewerkschaften für ein konkretes Projekt zusammenzubringen: bis zum Jahr 2010 rund 70.000 neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Ob diese „aktive Vernetzungspolitik“ erfolgreich sein wird, sei jedoch offen. Ein Ergebnis der Recklinghäuser Studie dürfte besonders dem Konferenzveranstalter DGB nicht gefallen. Dörre kam nämlich zu dem Schluss: „Je erfolgreicher der Strukturwandel sei, desto stärker erodiert die gewerkschaftliche Organisationsbasis.“ Betretene Mienen bei den versammelten Gewerkschaftern. Bis heute Abend wollen sie über Folgerungen aus den Forschungen diskutieren.

MARTIN TEIGELER