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Archiv-Artikel

Schuhe sehen Hamburg

Im Bunker an der Feldstraße beginnt heute der zweite Teil des „Kosmos“-Projekts von Hajusom. Jugendliche Flüchtlinge zeigen dort, wie sie Hamburg sehen, und nehmen dabei ungewöhnliche Perspektiven ein – und sei es die eines Schuhs

von Daniel Wiese

„Manchmal muss man die Augen schließen, um besser zu sehen“, meinten die Macher des Hamburger Flüchtlingskinder-Projekts Hajusom und ließen diesen Satz gewohnt ambitioniert in die Tat umsetzen. Was passiert, wenn man mit verbundenen Augen durch die Stadt geht? „Ich habe zwei Damen getroffen, ich glaube sie sind so 24 oder 25 Jahre alt. Sie sehen sehr chic aus, ich höre ihre Schuhe kat kat kat kat kat kat – sie gehen wie Models. Ich höre sie links. Sie reden wie zwei Leute, die glücklich sind“, schreibt Ibrahim Bah, einer der Beteiligten bei dem Projekt „Kosmos 2“.

Diese und andere Texte sind von heute an bei den Führungen im Bunker in der Feldstraße zu sehen und zu hören. In Tönen, Erzählungen und szenischen Aktionen soll dargestellt werden, wie jugendliche Einwanderer Hamburg wahrnehmen, die Stadt, in der sie sind, auch wenn es oft so aussieht, als ob die Stadt sie nicht haben will. Nur einer aus der Gruppe Hajusom hat politisches Asyl bekommen, die anderen sind „geduldet“ oder haben befristete Aufenthaltsgenehmigungen.

Um so interessanter ist, wie wenig Bitterkeit aus den Beobachtungen der jugendlichen Autoren spricht. In oft noch gebrochenem Deutsch und voller Neugier blicken sie auf die Stadt, die ihnen noch unvertraut genug ist, um Rätsel aufzugeben. Kinder, die von Müttern in Babycars geschoben werden, das Summen elektrischer Garagentore. Und dann die feindlichen Zonen, wo größere „Jungs, 17, 18, 19 Jahre“ zur Bedrohung werden.

„Geht man davon aus, dass Städte sich aus den Vorstellungen derjenigen heraus verändern, die von außen einwandern, dann wirft die neue Produktion einen Blick in die mögliche Zukunft der Stadt“, schreiben die Macher von Hajusom. Auch „Kosmos 2“ setzt wieder erstaunliche Energien frei, indem es die jungen Einwanderernicht einfach zu Objekten sozialpädagogischer Arbeit macht, sondern als Subjekte ernst nimmt, die fähig sind, einen eigenen Blick auf die Welt zu werfen.

„Kosmos 2“ sei eine Forschungsarbeit, „eine Art Labor“, heißt es bei Hajusom, wo man längst auch an CDs und Filmen arbeitet. Wie jede Forschungsarbeit streben auch die Projekte von Hajusom nach einer festeren Form, deshalb erscheinen auch die bei „Kosmos 2“ entstandenen Texte gedruckt zum Nachlesen. Auf den Abdruck der handschriftlichen Fassung habe man verzichtet, weil die Schriften ein wenig ungelenkt seien, meint Dorothea Reinecke von Hajusom. Irgendwie passt es aber auch zum Prinzip, die jugendlichen Einwanderer als Autoren ernst zu nehmen.

Dass das Ergebnis große Literatur ist, wird wohl niemand erwarten. Und doch stellt es sich als viel mehr heraus als eine bloße Beschäftigungstherapie. Besonders die – teilweise auf dieser Seite abgedruckten – Texte, die der genialen Idee folgen, einmal nicht die Menschen, sondern die Schuhe erzählen zu lassen, zeigen eine Schicht von Wirklichkeit, die sonst selten zur Sprache kommt.

Im Bunker an der Feldstraße sind von heute Abend an noch viel mehr solcher Geschichten zu hören, unter anderem spricht auch ein „unhöflicher Polizeischuh“. Die realen Hintergründe müssen in einer Stadt wie Hamburg, in der Politiker stolz auf ihre Abschiebungsquote sind, nicht eigens erklärt werden.

„Kosmos 2“, 2.–4. Juli, 20.30 Uhr, Medienbunker an der Feldstraße, II. Stock