: Der Kampf um die Truhen
Das Tiefkühl-Unternehmen Frosta versucht, mit bester Qualität und viel Transparenz den Markt zu erobern. Aber den alten Kunden ist das zu teuer und von den neuen sind noch nicht genug da. Ein Bericht von einem Konzern im Umbruch
aus BremerhavenSUSANNE GIEFFERS
Mit der Whiskas-Tüte wedelt Thomas Braumann gerne. Noch lieber liest er vor, was drin ist: „83 Prozent Feuchtigkeit, sechs Prozent tierische Nebenprodukte, sechs Prozent pflanzliche Nebenprodukte“, Braumann hebt die Stimme: „Zu Deutsch: 95 Prozent Wasser und Abfall!“ Was dem Vorstandsvorsitzenden des Bremerhavener Tiefkühlmultis Frosta egal sein könnte, würde nicht der Kilopreis des „Whiskas-Frischebeutels“ derselbe sein wie der von Frostas neuer „Steakhouse-Pfanne.“
Da liegt das Problem: „Für ihre Katze geben die Leute das Geld aus, für sich nicht.“ Das ärgert Braumann. Denn erstens ist die „Steakhouse-Pfanne“ wie alle anderen Frosta-Produkte gemacht nach dem neuen Reinheitsgebot, mit dem die Firma seit Anfang des Jahres versucht, gegen das gefrorene Einerlei in Deutschlands Tiefkühltruhen anzustinken. Der Ansatz ist ehrgeizig, der Erfolg noch nicht da. Das hat – zweitens – zur Folge, dass das Unternehmen am Bremerhavener Lunedeich 70 bis 80 von rund 730 Stellen abbauen muss, die meisten über Altersteilzeit und Vorruhestandsregelungen, rund 25 über betriebsbedingte Kündigungen. Was erst als „Massenentlassungen“ durch die örtliche Presse geisterte, scheint tatsächlich ein Sparplan, dem alle zustimmen können – auch die Gewerkschaft. Ein Arbeitnehmervertreter erklärte: „Mit diesem Ergebnis können wir leben.“
Während die Sonne auf das Flachdach der Vorstandsetage brennt und Thomas Braumann hinter runtergefahrenen Jalousien vom Kampf um die Tiefkühltruhen erzählt, herrschen wenige Meter weiter arktische Verhältnisse. Hier schlägt das kalte Herz des Unternehmens. In eisigen Trommeln kullern Broccoli, Möhren und Tortelloni. Männer mit wattierten Jacken und Handschuhen schütten Säcke voller Erbsen in metallene Trichter, zackige Zähne lösen Zusammengefrorenes. Auf einem Fließband rollen bei minus 25 Grad die Rohstoffe heran – vor dem plastikummantelten Tor hängen zwei Eiszapfen. Es ist das Reich von Bernd Heise. Der Werkleiter – „darf man gar nicht sagen, wie lange ich hier schon bin“ – eilt durch die gekachelten Hallen, grüßt hier, nickt da, brüllt in sein Handy neben dem tosenden Nudelgefrierer, in dem zuvor aus einer teppichgleichen Rolle geschnittene und gekochte Tagliatelle herumgepustet werden und so in die Minuszone tanzen, während daneben Gabelstapler Kartons mit „Keep frozen“-Schrift auf Fließbänder schieben.
„Viel Verständnis“ habe die Belegschaft für die Nöte der Geschäftsführung, sagt Heise. Dazu beitragen mag, dass die Stellenstreichungen vor allem im Verwaltungsbereich, weniger bei den Eisarbeitern stattfinden. Da scheint auch nicht mehr viel streichbar: Für eine Charge Tortelloni in Käse-Sahne werden gerade mal fünf oder sechs Leute gebraucht. Per Computer und Roboter lassen sich die Rohwaren aus dem 13.000 Paletten starken Lager anfordern, beim vollautomatischen Mischen, Wiegen, Abpacken muss je einer aufpassen und Kontrollnummern notieren. Dann schiebt ein Palettenroboter die fertigen Packungen ins nächste Lager.
Tiefkühl boomte immer. Bis Anfang 2003 der Umsatz sank. Nicht nur bei den ohnehin kriselnden Markenprodukten, auch bei den bisher stets gewachsenen Billig-Marken. Das macht Frosta Probleme. Denn der Krise der Premiummarken, die auch Frosta ereilt hat, begegnen die Bremerhavener mit dem selbst auferlegten Reinheitsgebot: keine Aromen, keine Farbstoffe, keine Geschmacksverstärker. Alle Inhaltsstoffe sind samt Herkunft auf den Verpackungen aufgelistet. Gemüse kommt einzig aus integriertem Anbau – Braumann: „Bio haben wir versucht, aber das schmeckt nicht“. Fleisch stammt nur aus „Markenfleischprogrammen“, bei denen die Landwirte weder Tiermehl, noch Hormone oder Medikamente füttern dürfen. Fisch gibt‘s nur als Neuseeland-Seehecht – Hoki – aus bestandserhaltender Fischerei.
Damit tut Frosta das Gegenteil von dem, was der Rest der Branche tut: immer billiger produzieren. Billiger gehe nämlich nur, weiß der promovierte Biochemiker Braumann, „mit den Helferlein aus der Retorte.“
Nicht, dass es die in dem Bremerhavener Unternehmen nicht mehr gäbe: Fast 80 Prozent seines Umsatzes macht Frosta unter anderen Namen, mit den Zweitmarken Tiko oder Elbtal, mit so genannten „Handelsmarken“ wie Eskimo, die‘s nur bei Aldi gibt, und mit dem teuren Nach-Hause-Lieferservice. Aber wo Frosta draufsteht, ist Reinheitsgebot drin, erklärt Braumann, und das kostet: Zehn bis 15 Prozent sind die Frosta-Produkte seither teurer geworden. Die Folge: „Unsere preissensiblen Kunden laufen uns von der Fahne.“ Dass sie mit ihrem Konzept neue Käufer gewinnen können, davon sind die Frosta-Gefrierer überzeugt: „Bombastisch“ schmecke Frosta seit dem Relaunch, sagt der Boss. Allein, die Botschaft ist noch nicht bei allen potenziellen Neukunden angekommen. So lange muss der ganze Rest die Frosta-Defizite auffangen. Und das just jetzt, wo die Krise alle TK-Bereiche trifft. Zeit bleibt bis 2007. Braumann: „Dann muss die Marke Frosta richtig Gewinn einfahren.“ Wenn nicht, gilt das Reinheitskonzept als gescheitert.