Hand in Pfote

Wer ist das: ein nachtaktiver Landschaftsplaner mit enormem statischem Gespür, der mehr watschelt als läuft und den kaum jemand zu Gesicht bekommt? Nur er: der Biber!

von BERND MÜLLENDER

Nichts. Da ist nichts. Kein Baumstamm, der auf einmal putzig große Zähne zeigt und lospaddelt. Nichts. „Es wäre ein Traum für mich, mal einen hier zu sehen“, sagt Gotthard Kirch, der Biologe und Biberführer in der Nordeifel. Das Flüsschen Rote Wehe plätschert vor sich hin, tief im Hürtgenwald, eine Stunde Fußmarsch von der Zivilisation entfernt. Biber sind scheu und nachtaktiv. Es gibt nur Spuren, reichlich. Vor uns liegt eine ausladende Auenlandschaft. Umgeknickte Bäume und trutzige Stümpfe. Berge von Zweigen und Gestrüpp in einem paradiesischen Durcheinander. Manche Ast-Arrangements sind zu Dämmen aufgeschichtet, weshalb kleine Wasserfälle von fast einem Meter Höhe entstehen und Seenplatten bis zu den Böschungen. „Tja, das war alles er“, sagt Kirch, „vor ein paar Jahren war das noch ein unscheinbarer Bachlauf hinter Büschen und Bäumen. Der Biber ist ein Landschaftsgärtner.“

Und er ist mit seinen daumendicken und rasiermesserscharfen Zähnen ein emsiger Holzfäller: „Dreißig Meter hohe Buchen, der Stamm ein Meter dick – kein Problem.“ Kirch preist die kleinen Kerle: „Er nagt alle Zweige und Äste so zurecht, dass er sie nutzen kann für seine Behausungen im Wasser. Die Rinde frisst er, sein einziges Wintermahl.“ Faszinierend: Der Biber, castor fiber, nagt stets so, dass die Stämme Richtung Wasser fallen. Seit zwei Jahren ist Kirch, 48, beim Kreis Düren „für nachhaltige Tourismusentwicklung“ angestellt. Ein aufreibender Job, zwischen Interessen der örtlichen Tourismusindustrie, Wirtschaftsförderern und Ämtern, politischen Ränkespielen und dörflichen Eifersüchteleien. Dem diplomierten Umweltfreund stehen Flora und Fauna näher als Urlauberumsätze. Sein Tourismusziel heißt: „Natur erleben“. Und der Biber ist das definitive zoologische Highlight.

Anfang der 80er wollten die Eifeler Forstbehörden eine Auenlandschaft anlegen, doch anstatt sie am Reißbrett zu gestalten, hatte man die Idee mit dem Biber. Aber woher die Tiere, in der Gegend ausgerottet seit Mitte des 19. Jahrhunderts, nehmen? Die Eifeler Behörden trieben in Polen drei Biberpärchen auf, die als friedlicher Castor-Transport „irgendwie über die Grenze kamen“. Bestechung? „Da machen alle grinsend ein Geheimnis drum.“ Heute leben in der Rureifel gut hundert Tiere, die einzige Population in Nordrhein-Westfalen.

Tollpatschig wirken sie, niedlich und gemütlich. Mit bis zu 1,30 Meter Länge ist „Meister Bockert“ das größte Nagetier der Nordhalbkugel. Biber wirtschaften nachhaltig. Sie fällen die Bäume so, dass sie unmittelbar danach wieder ausschlagen.

Naturfreunde sind begeistert: Kai Frobel, Artenschutzreferent beim Bund Naturschutz in Bayern e.V. (BN) in Nürnberg, nennt den Biber einen „zentralen Katalysator für die Renaturierung unserer Auen“. Der Biber sei „die Tierart, die auf Probleme der Landnutzung weist, wenn etwa Mais gegen ökologische Vernunft an Fließgewässern angebaut wird. Genau da baut der Biber artgemäß seine Dämme.“

Manche Landwirte in Bayern verfluchen ihn, wenn er Felder flutet oder Fischteiche leer laufen lässt. Manchmal kaufen Naturschützer Ausgleichsflächen für die menschliche Landschaftsnutzung. Manchmal muss der Biber auch gefangen werden. Zwei hauptberufliche Biberberater sind für den BN tätig, finanziell unterstützt von den Naturschutzbehörden.

1867 war der Biber in Bayern ausgestorben. Hundert Jahre später wurde er wieder angesiedelt; heute gibt es hier rund 6.500 Tiere, zwei Drittel der Population in Deutschland. Längst, sagt Frobel, seien Biber „unverzichtbar bei der dezentralen Hochwasserrückhaltung in den Oberlaufbereichen der Fließgewässer. Biber und Wasserwirtschaft arbeiten Hand in Pfote.“

Vom Biber gestaltete Lebensräume sind zudem artenreiche Biotope. Fischotter, Schwarzstorch, Eisvogel, Wasserralle, Laubfrosch und verschiedene Libellenarten können die vom Biber gemanagten Feuchtgebiete nutzen, die für die Biberschutz investierten Gelder seien „hoch rentabel“: Der Biber, so Frobel, ist ein „integraler Bestandteil für die überfällige Renaturierung bayerischer Talauen und den ökologischen Hochwasserschutz.“

Einmal hatte Gotthard Kirch eine Gruppe Wasserbauingenieure ins Bibergebiet geführt. „Die waren perplex, welche statischen Kenntnisse der Biber hat.“ Bachabwärts am Hang findet sich eine besonders wirre Ansammlung von Birkenstammknüppeln, wahrscheinlich sehr lecker. Kirch hält plötzlich inne. Ist da doch einer? Wo? Fehlalarm. Wir sind einen Kilometer bachabwärts am Ende von Biberland angekommen. „Noch niemand hat ihn gesehen. Kollegen haben schon Abende lang erfolglos herumgesessen.“ Einmal sei ein Biber „über die Mauer des Obermaubacher Stausees gewatschelt“. Vor ein paar Jahren, erzählt man im Eifeldorf Hürtgen, hat ein verirrter Biber auf Wanderschaft einen Einheimischen angefallen. Weil er wohl, lästerte man danach, dessen dünne Beine für zarte Jungweiden gehalten hatte.

Mancherorts ist der Biber sogar ein kleiner weicher Standortfaktor für industrielle Neuansiedlungen und die Tourismusindustrie. In Bitterfeld, einst Europas dreckigste Gemeinde, weist Bürgermeister Werner Rauball immer gerne auf den Biber hin, der sich im Naturschutzgebiet seiner Gemeinde angesiedelt habe. Castor fiber als Synonym für Naturnähe und Ursprünglichkeit, grüne Biologie statt dreckiger Chemie.

Nicht immer und überall wird des Bibers Wert automatisch geschätzt. Kaum zwanzig Kilometer entfernt hatte sich vor ein paar Jahren ein Biberpaar anzusiedeln versucht, in einem Karpfenteich im Wildpark. „Die kostenlose, natürliche und freiwillige Einwanderung eines Highlights für den Park“, nennt das Kirch, „ein idealer Aufenthaltsort für beide Seiten.“ Und was passierte? „Die haben die Tiere vertrieben.“

Auch der Eifelbiber hat nicht nur uneingeschränkte Liebhaber. Über Gotthard Kirch sagt Friedrich Deisner, der zuständige Forstamtsmann: „Der will sich viel zu wichtig machen mit dem Thema, das uns hier aufgedrückt wird. Wenn sich ein Bürger über Biberschäden beklagt, sage ich, umbringen dürft ihr die Tiere nicht, aber ihnen ruhig lästig werden.“ Was nicht unbedingt mit dem Tierschutzgesetz vereinbar ist, aber Deisner sieht das pragmatisch, auf dass es nicht wie in Bayern ende: „Da wissen sie doch schon nicht mehr wohin mit den Bibern.“

Über solche Behauptungen kann Gerhard Schwab nur den Kopf schütteln und richtig wütend werden. Der 43-jährige Wildbiologe ist einer der beiden bayerischen Biberberater, die sich um Konfliktfälle kümmern. Mal ist hier ein Maisfeld in Ufernähe überschwemmt, ein landwirtschaftlicher Entwässerungskanal oder eine Kläranlage nachhaltig verstopft oder auch ein Wohnwagen eingesackt, weil die Biber ihre weitverzweigten Baue auch mal unter einen Campingplatz graben. Manchmal überschneiden sich die Lebensräume halt. Schwab berichtet, seine Lieblinge seien schon „vor zehn Jahren durch Wiens Kanäle durchgewandert“. Es gibt welche am Flughafen in Augsburg und in Ingolstadt gleich beim Eurofighter-Testgebiet, manchmal unter Autobahnböschungen und auch in der Stadt: so mitten in München auf der Insel vor dem Deutschen Museum und auch im Stadtbereich von Berlin.

Ein paar tausend Mal hat sich Schwab in den vergangenen acht Jahren als Schlichter um Biberfälle gekümmert. Als Nächstes, berichtet er, müsse er in den Landkreis Straubing, „da nagt der Biber Bäume an“. Und nach Schwaben, „da nässt er Nutzflächen“. Die üblichen Konflikte. „Viele wollen einfach Beratung“, bei anderen werde man Nutzflächen tauschen, oder der BN kauft dem Biber die Fläche.

Insgesamt, sagt Schwab, sei die Akzeptanz besser geworden. In 1.200 der 1.500 bayerischen Biberreviere gebe es gar keine Probleme. „Intensive Landwirtschaft und der Biber passen nicht gut zusammen“, weiß auch Schwab. Manchmal muss gehandelt werden. Für Einfangen, Aussiedeln oder Töten muss die Höhere Naturschutzbehörde in jedem Einzelfall eine Ausnahmeerlaubnis geben, immer in Absprache mit den beiden bayerischen Bibermanagern. Seit 1996 wurden (Stand: Ende 2003) im Biberland Bayern (6.500 Tiere) gut 800 Tiere eingefangen, davon 600 Exemplare nach Kroatien oder Rumänien ausgesiedelt. 140 der Breitschwänze mussten ihr Leben lassen.

Grundsätzlich, sagt Schwab, laufe es meist so: „Wenn er neu in eine Gegend kommt, ist alles immer sehr faszinierend. Wenn die ersten Bäume fallen, ist es noch interessant. Schnell wird das dann aber Schaden genannt, und die Aufregung ist groß.“ Nach zehn Jahren vielleicht, gibt es in neuen Biberrevieren friedliche Koexistenz mit den Menschen. „Dann ist alles meist ganz normal, wenn man merkt, dass der Wald noch steht und der Biber ihn nicht aufgefressen hat.“

BERND MÜLLENDER, 47, lebt als freier Journalist in Aachen