: Geschichtsklitterung auf Rumänisch
Mit seiner Äußerung, der Holocaust sei ein gesamteuropäisches Phänomen gewesen, löst Rumäniens Staatschef Ion Iliescu Empörung aus. Das passt ins Bild. Erst vor kurzem wurde in Rumänien ein nationalistischer Dichter mit einem Orden geehrt
von WILLIAM TOTOK
„Vom Holocaust war nicht nur die jüdische Bevölkerung Europas betroffen. Auch viele andere, inklusive Polen, starben auf die gleiche Art.“ So äußerte sich Rumäniens Staatschef Ion Iliescu am vergangenen Freitag in der israelischen Zeitung Ha’aretz. Die Relativierung der Einzigartigkeit der Shoah löste in Israel Empörung aus. Von seinem Feriendomizil am Schwarzen Meer sah sich Iliescu genötigt, zu den Protesten Stellung zu nehmen.
Statt einen diplomatischen Rückzieher zu machen und seine zweideutige Stellungnahme zurückzunehmen, zeigte sich der Präsident angesichts der heftigen Reaktionen überrascht und setzte noch eins drauf. „Ich sagte, der Holocaust sei ein gesamteuropäisches Phänomen gewesen. Es gab keinen rumänischen Holocaust, keinen deutschen oder polnischen. Innerhalb dieses europäischen Phänomens hat es auch eine rumänische Komponente gegeben.“
Bereits im Juni hatte die Bukarester Regierung in einem offiziellen Kommuniqué den rumänischen Holocaust geleugnet (taz v. 19. 6.). Wie damals wurde auch jetzt wieder die rumänische Botschafterin in Tel Aviv ins israelische Außenministerium zitiert. Die US-Organisation „Anti-Defamation League“ forderte den Präsidenten auf, seine Erklärungen zurückzunehmen. Das Zentrum zur Beobachtung und Bekämpfung des Antisemitismus in Rumänien gab zu bedenken, dass sich Antisemiten der Ausführungen Iliescus bedienen könnten.
In einem am Sonntag veröffentlichten Kommuniqué der rumänischen Präsidialkanzlei hieß es, Iliescu sei missverstanden worden. Aber auch dieses Dokument enthält keine deutliche Verurteilung des Mordes an 410.000 Juden unter der militärfaschistischen Diktatur des Hitlerverbündeten Ion Antonescu in der Zeit von 1941 bis 1944. Ausgehend von dem Iliescu-Interview forderte die Zeitung Jerusalem Post, Iliescu so zu behandeln wie den österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider. Falls Rumänien keine überzeugenden Schritte gegen den wieder aufflackernden Antisemitismus unternähme, sollte Iliescu international isoliert werden.
Iliescus Äußerungen sind ein neuer Beweis für die doppeldeutige Politik der rumänischen Führungsriege. Um den Westen von ihrer euroatlantischen Tauglichkeit zu überzeugen, raffte sich die Regierung im vergangenen Jahr zu einer großzügigen Gefälligkeitsgeste auf und erließ eine Dringlichkeitsverordnung, aufgrund derer der Kult von Kriegsverbrechern und faschistische Propaganda jeglicher Art unter Strafe gestellt wurden. So wurden inzwischen die Denkmäler zu Ehren des 1946 als Kriegsverbrecher hingerichteten Antonescu entfernt und Straßen, die seinen Namen trugen, umgetauft. Mitte Juli wurde ein Rechtsextremist mit viel Medienrummel zu einer zweieinhalbjährigen Haft verurteilt.
Gleichzeitig verlieh Iliescu vor wenigen Tagen dem nationalistischen Dichter Adrian Paunescu, eine ehemalige Hofschranze von Nicolae Ceaușescu, einen hohen Orden und würdigte dessen kulturelle Leistungen. Als Abgeordneter der regierenden Sozialdemokratischen Partei – die sich mit ihren guten Beziehungen zur SPD Gerhard Schröders brüstet – sitzt Paunescu im Parlament. Unermüdlich setzt er sich für eine Rehabilitierung Antonescus ein. In seinem „Klagelied für Ion ohne Grab“ beschreibt er Antonescu als unschuldiges Opfer, dessen „tragisches Schicksal“ er mit dem des rumänischen Volkes vergleicht: „Ion bist du, Ion bin ich / Ion ist ein Volk“.
Damit befindet sich der „Sozialdemokrat“ Paunescu in guter Gesellschaft mit der rechtsradikalen und derzeit einzig ernst zu nehmenden Opposition, der Großrumänischen Partei. Deren programmatisches Ziel ist, Antonescu zu rehabilitieren, in Bukarest ein autoritäres Regime an die Macht zu bringen und zusammen mit Le Pens Front National eine „Internationale der Nationalisten“ zu gründen.
Die Popularität der Großrumänen, die ein Drittel aller Parlamentsmandate innehaben, steigt. Und bei den Parlamentswahlen im kommenden Jahr haben sie beste Chancen, stärkste Partei zu werden.
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