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Archiv-Artikel

Das alte Schiff und der Strom

Eigentlich sollte der letzte Dampfschlepper Hamburgs vor 31 Jahren verschrottet werden. Nur eine Spendenaktion rettete ihn – seitdem ankert die „Tiger“ im Hamburger Museumshafen. Und fährt zwischendurch mit einer Crew, die aus Ehrenamtlichen besteht

Kameras und Zeigefinger schnellen hoch. Väter beugen sich hinab und erklären ihren Söhnen, was ein Dampfschiff ist

VON MATHIAS BECKER

Stille ist ein Geräusch, das man leicht überhört. Erst in der Flussmitte fällt es auf, dass man gar nicht wie sonst auf Schiffen gegen das Röhren des Dieselmotors anschreien muss. Stumm, fast wie ein Segelboot, zieht die „Tiger“ dunkle Bahnen ins Weiß auf der Elbe. Sanft rasseln die Eisschollen an ihrem stählernen Rumpf.

Die „Tiger“, Baujahr 1910, ist der letzte Schleppdampfer Hamburgs. An diesem Tag hat sie ihren Liegeplatz im Museumshafen Övelgönne verlassen, obwohl waschmaschinengroße Eisbrocken flussabwärts treiben. Es ist ihr 99. Winter in Hamburg – und beileibe nicht ihr kältester. „Das bisschen Eis kann uns nichts anhaben“ sagt Erwin Wegner, stopft die Pfeife nach und bringt sie mit ein paar schnellen Zügen zum Qualmen.

Seit 20 Jahren fährt Wegner mit der „Tiger“ raus auf die Elbe, aber Skipper ist der 63-Jährige nur nebenbei. Wie der Rest der Crew arbeitet auch Wegner ehrenamtlich auf dem Schiff – ein Ehrenamt, das viel Zeit frisst. „Man kann nicht immer bei der Alten rumhängen“, sagt Wegner, der früher als Maurer gearbeitet hat. Welche Funktion er hier an Deck hat? „Bordhund!“ Er grinst und kippt eine Flasche Früchtebrand in den dampfenden Glühweinkessel.

Mittlerweile hat das Schiff am Steg der Behrenswerft festgemacht und zwei Dutzend in dicke Jacken eingepackte Gäste steigen zu. Seit bald 135 Jahren baut und restauriert der Betrieb Schiffe in Finkenwerder. Heute feiert das Familienunternehmen den 72. Geburtstag seines ehemaligen Geschäftsführers Hans Behrens. Bei Chili con Carne und Heißgetränken trotzt man dem eisigen Wind, der über das Deck weht.

Wer der Kälte für einen Moment entkommen will, steigt die Leiter hinab in den mollig-warmen Maschinenraum. Hier steht Nils Rüggen im T-Shirt vor den stampfenden Kolben der Zwei-Zylinder-Verbundmaschine. Dann hält er sein Ohr vor den großen Messingtrichter, der über ein Rohr mit der Brücke verbunden ist. „Das ist die älteste Flatrate der Welt“, er grinst. Seine von Ruß und Öl geschwärzten Hände legen sich um die Hebel des zischenden Ungetüms: „Halbe Kraft voraus!“

Manuela Rosenberg schleudert noch eine Schippe Kohlen in den Schlund des Ofens. Fauchend verschlingt das Feuer die glänzenden, faustgroßen Brocken. Eigentlich arbeitet Rosenberg als Köchin im Museumshafen-Café. Aber es reicht ihr nicht, die Schiffe bloß ab- und anlegen zu sehen. Deshalb schaufelt sie in ihrer Freizeit, unten im Bauch der „Tiger“. „Wir beginnen 24 Stunden vor der Abfahrt, den Ofen anzuheizen“, sagt Rosenberg. Erst dann laste ein Druck von zehn bar auf den Wänden des Kessels, und das Schiff könne auslaufen. Eine halbe Tonne Kohlen hat es da schon durch den Schornstein geblasen.

Als der flüssige Treibstoff kam, lagen die kohlehungrigen Dampfschiffe schnell auf dem Trockenen. 1966 wurde auch die „Tiger“ zum Reserveschiff degradiert und nur noch notdürftig gewartet. Als 1978 ihre Verschrottung drohte, erwarb sie der Museumshafen mit Hilfe von Spendengeldern. Das Schiff wurde vom Rumpf bis zum Fahnenmast restauriert. Ein Jahr später nahm es seine Dienste wieder auf.

Heute ist die „Tiger“ eine Attraktion. Zieht sie qualmend an Landungsbrücken und Fischmarkt vorbei, bleiben sie Spaziergänger für einen Moment stehen. Kameras und Zeigefinger schnellen hoch. Väter beugen sich hinab und erklären ihren Söhnen, was ein Dampfschiff ist.

Wenig später ist der Trubel vorbei, am Uferstreifen löst sich Blankenese mit dem Süllberg aus dem Dunst. Rosenberg, die Heizerin, steht an der Reling und blickt aufs Wasser. Warum sie freiwillig unter Deck schuftet? „Ich mag die alte Technik“, sagt sie. „Und hier auf dem Wasser“, fügt sie hinzu, „herrscht ein anderes Tempo als an Land.“

Es mag sein, dass die Crew der „Tiger“ ihre Zeit gibt. Aber der Dampfschlepper gibt der Crew auch etwas zurück.