Eingeschlossene Ausgeschlossene

Auch in Irland liegt die Aufnahmequote für Migranten bloß im einstelligen Bereich. Nicki Gogan und Paul Rowley dokumentieren in „Seaview“ ein Aufnahmelager, in dem die Menschen nichts als Freizeit haben

Etwas stimmt nicht mit diesem Ort. Die Kamera bewegt sich durch verlassene Aufenthaltsräume, eine vergammelte Großküche, man sieht Häuser, abblätternde Farbe, Zäune als Absperrungen, Außenanlagen ohne Menschen; es könnte der Beginn eines Horrorfilms sein.

Wir hören Stimmen, die erklären, dass wir in Mosney sind, nördlich von Dublin am Meer, was wir sehen, war einst eine große Freizeitanlage, die bis zu 4.000 Tagesgäste auf einmal beherbergen konnte. Berühmt wurde der Ort als Schauplatz der alljährlichen Finalkämpfe der nationalen „Community Games“, eines Sportwettkampfs für irische Kinder und Jugendliche.

Dann aber machte im Jahr 2000 das Unternehmen, das das Ferienlager betritt, Bankrott, zu Wort kommen Menschen, die hier gearbeitet haben und den Niedergang bedauern – und erst recht das, was aus dem Ferienlager wurde. Der Staat hat die Anlagen übernommen, aber er machte daraus etwas anderes, einen Ort anderer Art, einen Raum für sehr viel prekärere Aufenthalte: Mosney ist heute ein Asylantenheim.

Die Logik ist bezwingend: Man bringt sie unter am geografischen Rand der Gesellschaft, als eingeschlossene Ausgeschlossen, fern von der Stadt, mit Blick weg vom Landesinneren. Die Zuglinie, die einst die Feriengäste nach Mosney brachte, stellte wie das Ferienlager selbst im Jahr 2000 den Betrieb ein. Wer jetzt hier lebt, sitzt erst einmal fest. Die Überwachungskameras behalten alles sowieso im Blick.

In einem Land, mit dem sie die Hoffnung verbinden, es möge ihnen Zuflucht gewähren, sehen sich Menschen aus allen möglichen unterprivilegierten Weltgegenden einem öden Alltag ausgesetzt an diesem verfallenden Nicht-Ort mit Meerblick. Nach Ferien ist keinem zumute, nicht mal jenen Kindern, die sich über diese Umstände nicht wundern, die sich an gar keinen anderen Ort erinnern können auf der Welt. Und die Eltern, entwurzelt, geflohen aus Bürgerkriegsgegenden, vor Verfolgung und Folter, müssen sich nun einrichten in Räumlichkeiten, deren vormalige Verwendung ihnen nur als blanker Hohn vorkommen kann. Andererseits ist in einem perversen Sinn Freizeit alles, was sie haben in ihrer Notgemeinschaft im Transit. Jahrelang harren sie hier teils aus, führen das Leben als Provisorium, dürfen kein Geld verdienen, nicht arbeiten, um nicht Wurzeln zu fassen in dem Land, das sie aller Voraussicht nach wieder abschieben wird.

Im einstelligen Bereich liegt auch in Irland die Aufnahmequote. Deshalb müssen sie alle täglich mit dem abschlägigen Bescheid rechnen, Informationen zu Entscheidungsterminen bekommen sie nicht. Die Regisseure Nicki Gogan und Paul Rowley machen aus all dem kein Drama, auch wenn sie zunächst bei Recherchen für ein Spielfilmprojekt über das Schicksal von Asylsuchenden nach Mosney gelangten.

Der Ort ließ sie dann nicht mehr los. Sie haben mehrere Video-Workshops dort veranstaltet und viel Zeit mit den rund 700 Asylbewerberinnen und -bewerbern aus mehr als zwanzig Nationen verbracht. Je näher sie ihnen kamen, desto weiter rückte das Spielfilmprojekt in die Ferne. So wurde ein Dokumentarfilm daraus, das Porträt eines absurden Orts und seiner Geschichte, die die Probleme der Globalisierung, den Niedergang eines Orts von nationaler Bekanntheit und die Fremdenfeindlichkeit, die das neue Lager vor Ort zum Vorschein bringt, vor Augen führt, ohne dazu explizite Thesen zu entwickeln.

Die Filmemacher lassen vielmehr die Asylsuchenden erzählen, aus ihrem Leben, von ihren Gründen für die Flucht. Sie hören ihnen zu und mischen sich nicht ein. Herauszuhören ist immer die Klage darüber, wie sehr ihnen in ihrem Luxusgefängnis die Hände gebunden sind. Wir sehen Frauen, Männer, Kinder, wir hören ihre Stimmen, nicht alle aber wollen gefilmt werden, nicht alle verraten dem Filmteam ihre Namen, aus Angst, dass die Kritik an den Zumutungen ihres Ferienlagers ihren Chancen auf Aufnahme in Irland schadet.

Leider belassen es die Filmemacher nicht bei der nüchternen Dokumentation. Wenn etwas an „Seaview“ stört, dann ist es der Versuch, mit langen Kamerafahrten und leicht prätentiösen Bildern des Verfalls mit daruntergelegter Musik eine Stimmung zu erzeugen, die sich auch ohne Eingriffe dieser Art angesichts der surrealen Inkongruenz von einstiger und heutiger Bestimmung des Orts eingestellt hätte. EKKEHARD KNÖRER

„Seaview“. Regie: Nicki Gogan/Paul Rowley. Irland 2008. 82 Min.