Drachen des Einklangs

Grüne Lungen für abgasgeplagte Städte, die wie Felsen aussehen: Die Ausstellung „Grün der Zeit“ in der ifa-Galerie stellt Landschaftsplanungen in und aus Peking als Projekte des Überlebens vor

VON RONALD BERG

Ein rotes Band schlängelt sich am Tanghe-Fluss in der schnell wachsenden chinesischen Küstenstadt Qinhuangdao, knapp 300 Kilometer östlich von Peking. Das kantige, aus Stahl gefertigte Gebilde säumt einen hölzernen Laufsteg und dient zugleich als Bank, Pflanztrog und Beleuchtungskörper. Über einen halben Kilometer durchzieht der Weg die feuchte Uferzone eines 2006 angelegten Parks zwischen Fluss und Neubaublöcken.

Mit rund 3 Millionen Einwohnern ist Qinhuangdao eine für chinesische Verhältnisse vergleichsweise kleine Stadt. Die Probleme sind aber hier wie anderswo die gleichen: das rapide Wachstum der Städte geht zu Lasten der Umwelt. Das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) hat deshalb den „Garten des roten Bandes“ als prominentestes Beispiel für seine Ausstellung zu neueren Landschaftsplanungen in und aus Peking ausgewählt. Die Schau, im letzten Jahr anlässlich der Pekinger Olympiade schon einmal in der Stuttgarter Dependance des ifa gezeigt, stellt zwei Planungsbüros aus Peking vor und zwei in ihren Dimensionen recht unterschiedliche Projekte. Allen gemeinsam ist ein Bewusstsein für die gigantischen Probleme von Landverbrauch, Umweltverschmutzung und städtischer Verdichtung.

Der Garten des roten Bandes stammt von Yu Kongjian und seinem Büro Turenscape. Mit 300 Mitarbeitern zählt es zu den größten Dienstleistern auf dem Gebiet in China. Yu Kongjians grüne Philosophie wurzelt in dem, was er die „vernakuläre Landschaft“ Chinas nennt. Es ist die der Natur abgerungene, bäuerliche Kulturlandschaft, die für genügend Ernte sorgt, aber etwa auch vor Überschwemmungen schützt.

Auch Yu Kongjians Park am Tanghe-Fluss basiert auf dem Ausgleich mit der Natur, einer Natur, die heute eben nicht gezähmt, sondern geheilt werden muss, um mit ihr im Einklang zu leben. So situiert sich der Park anstelle einer den Fluss verschmutzenden Schutthalde und rekultiviert ein Stück Land als öffentliche Erholungsfläche.

Für den 46-jährigen Yu Kongjian ist Landschaftsplanung eine Form von „Überlebenskunst“. Warum? Zwei Drittel der 662 Großstädte Chinas verfügen nur über eine unzureichende Wasserversorgung, sämtliche Flüsse sind verschmutzt, im Norden Chinas wachsen die Wüsten, in Peking sinkt der Grundwasserspiegel um einen Meter jährlich, so berichtet Yu Kongjian im Katalog.

Angesichts dieser Ausgangslage wird man sich nicht mehr wundern, dass die in der ifa vorgestellten Projekte auf den ersten Blick so wenig chinesisch aussehen. Yu Kongjians hält die klassischen Gärten Chinas, die vor allem durch die kaiserlichen Anlagen geprägt wurden, schlicht für unnütze Landschaftsdekoration. Die aus Bergen und Wasser als Grundelemente kreierten und hochgradig symbolisch besetzten Landschaftsgärten des alten China waren auf Besinnlichkeit und Freude hin ausgelegt.

Der olympische Waldpark in Peking liefert das Beispiel, wie man die klassischen Gartentraditionen aufgreifen kann, um sie unter ökologischen Gesichtspunkten weiterzutreiben und mit neuesten Umwelttechnologien auszustatten. Hu Jie, Professor an der Tsinghua-Universität in Peking, hat auf Symbolhaftes bei dem 680 Hektar großen Gelände, das die olympischen Sportstätten miteinander verbindet, nicht verzichtet. So umspielt die zentrale Nordsüd-Achse ein Wasserlauf in Drachengestalt – in China ein Glückssymbol. Gleichzeitig dient der nach Norden immer weiter bewaldete Park auch als grüne Lunge der abgasgeplagten Stadt Peking und als Naherholungsgebiet für die mit Stadtgrün unterversorgte 15-Millionen-Metropole.

Der nördliche Teil mit Drachenkopf-See, verschlungenen Wegen und künstlichen Bergen interpretiert die klassische Gestaltung, wie der Berliner sie stilecht vom „Garten des wiedergewonnenen Mondes“ im Erholungspark Marzahn kennt.

Aber statt Pagode, Pavillon oder Bogenbrücke durchziehen jetzt Kinderspielplätze und Sportanlagen die Landschaft, die Brücke überquert als breite Schneise eine Autobahn und der See wird von der städtischen Wasseraufbereitungsanlage gespeist, wobei die Feuchtgebiete des Parks als Reinigungsfilter wirken. Die nachhaltige Abwassernutzung wurde übrigens in Zusammenarbeit mit der TU Berlin entwickelt.

Auch die anderen in der ifa vorgestellten Projekte – ein verspiegeltes Gartencafé oder die Umnutzung alter Fischzuchtteiche – zielen auf den Ausgleich von Ökologie und Nutzung. Mögen solche Ansätze in China (wie im Westen) bislang nur punktuell wirken, sie zeigen doch, welche Richtung die Landschaftsplanung einschlagen muss, wenn die Ressourcen von Wasser, Luft und Boden erhalten werden sollen. Vielleicht haben es die Chinesen sogar einfacher, den Einklang mit der Natur als Wert wiederzuentdecken, liegt doch dieser Gedanke der chinesischen Kunst seit alters her zugrunde.

Die beiden eingestreuten Künstlerpositionen der ifa-Schau – Liu Wie (Fotografie) und Cindy Ng Sio Ieng (Video) – referieren an Landschaftsdarstellungen der chinesischen Malerei. Nur formen sie ihre Landschaften aus nackten Körperteilen oder dem bewegten Fluss der Tusche. Die Landschaft bleibt der Bezugspunkt, auch wenn die Mittel und Formen durchaus modern sein können.

ifa-galerie Berlin, Linienstr. 139/140. Bis 22. März 2009. Katalog 14 €