: Hundert Bayer-Jahre für 1904 Cent
Die Sportabteilung des Chemieriesen Bayer Leverkusen feiert ihr 100-jähriges Bestehen. Die Jubiläumschronik blickt auf die erfolgreiche Geschichte des Werkvereins zurück. Auch das Kapitel Dritte Reich wird ausführlich behandelt
In diesem Jahr feiern nicht nur blau-weiß gekleidete Bergmannsfußballer ihr hundertjähriges Jubiläum, sondern am 1. Juli auch der berühmteste Werkssportverein dieses Landes. Im Format eines großstädtischen Telefonbuches ist aus diesem Anlass eine Festschrift erschienen. Natürlich ist einiges an Vereinsmeierei darin, viele Fotos auch von Funktionären in Anzügen, die durchgeschwitzte Sportler herzen. Aber das meiste ist doch spannend zu lesen und zu betrachten. Die Fotos von vor hundert Jahren mit den zwirbelbärtigen Jüngern von Jahn sind nostalgische Leckerbissen. Tatsächlich fühlte sich ein Friedrich Bayer noch ähnlich dem Gemeinwesen verbunden wie ein Alfred Krupp. Microsoft oder Vodafone würden heutzutage wohl keine Sportvereine gründen, eher aufkaufen.
Wohltuend in der nun beschriebenen Vereinsgeschichte ist die Auseinandersetzung mit den düsteren, sprich braunen Flecken auf der Weste. Nicht nur von Anbiederei und Mitläufertum wird berichtet. Schon 1925 konnte man folgendes im Vereinsbericht lesen: „Wir müssen neben der Pflege des Körpers... helfen und sorgen, dass der uralte germanische Freiheitsdrang in den deutschen Menschen wach bleibt, dass bei dem Gedenken an des Vaterlands Unglück und Knechtschaft die Köpfe warm und die Herzen heiß werden.“ Seite 72. Die Zeit des Faschismus wird dargestellt als Auseinandersetzung zwischen Staat und Vereinsfunktionären, die mehr oder minder begeistert waren, gleichgestellt zu werden. Rudern als englischer Sport war z.B. verpönt. Ob in einem Geschichtsbuch über den Turn- und Sportverein Bayer auch ein ganz bestimmtes Produkt der IG Farben erwähnt werden sollte? Das Wort Zyklon B findet sich in der Festschrift nicht.
In den farbigeren Seiten des Buches gibt es ein Wiedersehen mit Sportlegenden wie Heide Ecker-Rosendahl, Ulrike Nasser-Meyfarth, Heike Henkel und Dieter Baumann. Die Tragödie der Olympischen Spiele 1972 wird sensibel nacherzählt. Und natürlich kommt der Fußball nicht zu kurz. Schön schlüpfrig das Foto, auf dem Ulf Kirsten den soeben gewonnenen DFB-Pokal mit ins Bett nimmt. Rudi Völler macht sein Abschiedsspiel, Christoph Daum zeigt dem Verein sein langes Haar und eine lange Nase. Die Überschrift des Portraits von Rainer Calmund ist ein bisschen geschmacklos geraten: “Bauchmensch mit Kopf und Stallgeruch“ Olfaktorisch ist der beliebte beleibte Exmanager doch noch nicht aufgefallen. Besonders anrührend ist ein doppelseitiges Foto, das Fußballer aus fünf Generationen vor den Tribünen der Bayarena zeigt. Sowohl Fritz Schorn, Jahrgang 1911 wie auch Jan-Ingwer Callsen-Bracker, Jahrgang 1984 und drei weitere Fußballberühmtheiten belegen die Kontinuität des Bayer aus NRW. Überhaupt, in weiten Teilen ein spannendes Buch über die Sportgeschichte unseres Landes. Da lohnt sich schon die Anschaffung, besonders bei dem Preis. Und das ist kein Scherz, das Buch gibt es für Neunzehnhundertundvier Cent.
LUTZ DEBUS
100 Jahre Bayer 04. Die Geschichte eines einzigartigen Sportvereins. Hrg. und Vertrieb: TSV Bayer 04 Leverkusen e.V., Tannenbergstr. 57, 51373 Leverkusen, info@tsvbayer04.de 19,04 Euro
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