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Archiv-Artikel

Fragwürdige Umfragen

Studien und Statistiken sind beliebter denn je. Politik, Sex, Gesundheit: Veröffentlicht wird, was sich in Umfragen fassen lässt – also alles. Glücklich über die sinnlosen Informationen sind nur die Medien

VON GUNNAR LEUE

In Amerika lieben sie ihre Skandale, was man schon an deren niedlicher Namengebung merkt. Präsident macht Sex mit Praktikantin: Monicagate; Popstar-BH auf der Bühne gerissen: Nippelgate. Es scheint eigentlich nur eine Frage der Zeit, wann die USA, wo die Politik wie nirgendwo sonst von Umfragewerten mit bestimmt wird, ihr Pollgate bekommen werden. Das Copyright auf die Umfrage-Affäre ist auf jeden Fall vergeben.

Ausgerechnet ein biederer Politiker aus dem bravsten deutschen Ländle hat sich die Urheberschaft gesichert. Walter Döring, bis vor kurzem Wirtschaftsminister von Baden-Württemberg, ist über eine Umfrage-Affäre gestürzt, weil er sich 1999 eine mindestens 10.000 Mark teure Infas-Umfrage zur Akzeptanz seiner Wirtschaftspolitik im Land offenbar von Hunziger bezahlen ließ. Die Medien sind selbstverständlich empört, dabei sind es nicht zuletzt sie selbst, die als wahre Umfragejunkies nie genug von dem Stoff kriegen können.

Bild lässt das Leservolk abstimmen, wer aus der Regierung rausmuss! Jeder Fernsehsender will von seinen Zuschauern wissen, wer Rudi Völler als Fußball-Bundestrainer ersetzen soll, und mancher Bürger fragt sich, woher der Anrufer eines Meinungsumfrageinstituts eigentlich seine Handynummer hat. Hieß es in der DDR: „Plane mit, arbeite mit, regiere mit!“, lautet die Weiterentwicklung der Pseudodemokratie-Parole in der Mediendemokratie von heute: Auch wenn es egal ist oder du keine Ahnung hast, rede mit!

Unterhaltend ist es allemal. Ergo grassiert in der Medienwelt der Umfragewahn, vor allem in den Zeitungen. Auf die politische Sonntagsfrage folgt der aktuelle Geschäftsklimaindex. Im Vermischten gibt es den großen bunten Rest. Insbesondere der hat sich zu einem aktuellen Kompendium des überflüssigen Wissens entwickelt. Es wird alles veröffentlicht, was Umfragen und Studien so hergeben: Die Hälfte der Deutschen redet mit Pflanzen. Dudelsackspieler sind gesundheitsgefährdeter als andere Musiker. Popmusikhören beim Autofahren sorgt für höheres Unfallrisiko als Klassikhören. BMW-Fahrer haben den meisten Sex pro Woche, Porsche-Raser den wenigsten, VW-Besitzer liegen dazwischen, statistisch. Vor allem wenn es um Gesundheit, Essen und Verkehr, ob auf der Straße oder im Bett geht, scheint keine Studie zu abstrus, um nicht Erwähnung zu finden. Es wundert eigentlich, dass noch kein Verlag ein spezielles Magazin nur für Umfragen und Studien auf den Markt gebracht hat.

Im permanenten Fluss des Schwachsinns fallen selbst demoskopische Sensationen kaum auf. So behauptete das Meinungsforschungsinstitut Forsa 2003, nur jeder zweite Deutsche wüsste, dass Gerhard Schröder Bundeskanzler sei. Die Forsa-Mitarbeiter hatten bei der Auswertung der Fragebogen schlicht Antworten wie „Bankrott-Kanzler“ oder „unser aller Chef“ als nicht richtig anerkannt. Dieses Verhalten sei zwar „formal hyperkorrekt, aber politisch falsch“ gewesen, entschuldigten sich die Demoskopen. Methode formal korrekt und ansonsten sinnlos – das scheint so etwas wie die Zauberformel in der Wunderwelt der Umfrage-gestützten Erkenntnis zu sein. Warum sonst würden Studien zitiert wie jene australische, wonach zwei Drittel der erwachsenen Menschen Fussel im Bauchnabel haben.

Nicht nur hier fragt man sich: Haben die Medienleute Fussel im Kopf, dass sie selbst nutzloseste Informationen bereitwillig verbreiten? Sicher, etliche Medienkritiker haben schon immer vor der Vermüllung der Rezipientengehirne gewarnt. Aber auch wer Statistikmanie und Zahlenhuberei vielleicht als Antwort auf den Wunsch nach handhabbaren Fakten in einer immer unübersichtlicheren Informationswelt betrachtet, muss sich fragen, ob die Sache nicht viel simpler ist: Die Medien, insbesondere Zeitschriften, bedienen sich der Demoskopie als Marketinginstrument.

Denn wie lässt man kostengünstig republikweit wissen, dass Geo Wissen mit einer neuen Nummer auf dem Markt ist oder dass es ein Journal für die Frau überhaupt gibt? In dem die einen eine Umfrage präsentieren, nach der nur 18,3 Prozent der Deutschen an den Urknall glauben, und die anderen enthüllen, dass jeder fünften deutschen Frau die Gedankenwelt ihres Lebensgefährten noch fremder ist als das Universum. Auch die ARD pumpte kürzlich Geld in eine Forsa-Umfrage, die allein den Sinn hatte, den Plauderer-Gipfel bei Beckmann zu promoten. Seitdem wissen wir endlich, welchen Moderator die Deutschen am ehesten zum Candle-Light-Dinner einladen würden. Welcher Gebührenzahler genau das geklärt haben wollte, wird man wohl nie erfahren, weil es dazu keine Umfrage gibt. Wäre ja schließlich Geldverschwendung.