Zeitungszeitreise

Das Internationale Zeitungsmuseum Aachen ist ein medienhistorisch einmaliges Kuriositätenkabinett – trotzdem kämpft es ums Überleben

aus Aachen BERND MÜLLENDER

Heute sind knapp 20 LehrerInnen zur Museumsführung gekommen. Sie stehen vor der Vitrine zur „Frühzeit der Presse“ und hören von Hanf- und Leinenlumpen, die vor Erfindung der Papiermaschinen 1819 mühsam zu kärglichen Blättern im sparsamen Miniformat verarbeitet wurden. Die erste Zeitung, lauschen die Pädagogen, erschien 1609; das erste bebilderte Blatt war das englische Penny Magazine. Ausgelegt ist ein Exemplar von 1833, das den heimischen Dom von Aix-la-Chapelle ziert.

Über 170.000 Zeitungen hat das Internationale Zeitungsmuseum der Stadt Aachen gesammelt, vereinzelt fast 400 Jahre alte Stücke, und punktuell Erst-, Letzt- und Jubiläumsausgaben, weltweit von der frühen Fiji Times, einem handgeschriebenen Kafferblatt vom Kap bis zur Startausgabe des Kladderadatsch. Dazu skurrile Druckwerke im Spielkartenformat, Unikate, Sondernummern oder die weltweit größte Zeitung: Het Volk aus dem kleinen Belgien; mehr als doppelt so viel Fläche wie die heutige Zeit. Ein medienhistorisches Kuriositätenkabinett, spannend und witzig; zusammen wird daraus gedruckte Zeitgeschichte.

„Nichts ist so spannend wie die Zeitung von gestern“ ist die Losung des Museums. Beeindruckend sind vor allem die Ausgaben zu besonderen Ereignissen wie Deutschlands Kapitulation 1945, Churchills Tod oder dem Mauerfall. Bild vermeldete 1953 Stalins Tod und daneben „Erster Negersopran an der Scala“ mit Bild einer schwarzen Sängerin. „Prag: Rote Invasion“ schlagzeilte 1968 der Express mit monströsen Lettern.

Manchmal, morgens zumal, muss man sich vor lauter Schülergewusel den Weg in die Ausstellungsräume fast schon erkämpfen. Im Gästebuch dominieren Begriffe wie „faszinierend“, „außergewöhnlich“ und „total cool“.

Und doch steht das kleine kulturelle Unikum, ersteröffnet 1931, auf der Kippe. Es fehlt an Geld. Aachens CDU-majorisierter Stadtrat hat das Haus auf die vorläufige Streichliste gesetzt. Der Musueumsleiter wurde vor einem halben Jahr gegangen, seitdem wird das Haus von 14 Ehrenamtlichen am Leben gehalten. Die stellten fest, dass es offensichtlich grotesk falsche Kostenzuordnungen im kommunalen Etat gab. Jetzt sucht die emsige Kulturdezernentin nach Fördergeldern, EU-Töpfen, Landesmittelquellen. Alle wollen das Zeitungsmuseum erhalten. Aber wie? Im Krieg hatten Bürger die Exponate wagemutig in Bunker geschleppt, im Frieden ist es damit nicht getan. „Abgesehen von den vielen Schulklassen ist unser Museum außerhalb bekannter als unter der Bevölkerung“, sagt einer der Ehrenamtlichen. Medienwissenschaftler, Historiker und Touristen haben das „Standesamt der Weltpresse“ meist auf der Agenda, aber heimisches Laufpublikum im ältesten Privathaus (1495) der historisch sonst so stolzen Stadt, in der jeder am liebsten direkt von Kaiser Karl abstammen möchte, ist selten.

Dabei gibt sich das offizielle Aachen liebend gern als Europa- und Medienstadt. Nur ein paar Schritte weiter, in der gleichen Pontstraße wie das kleine Museum mit seinen übersichtlichen fünf Sälen, hat Paul Julius Reuter 1849 mit 40 geliehenen Brieftauben den Grundstein für seine Nachrichtenagentur gelegt. Und am 24. Januar 1945 erschien in der früh befreiten Westzipfelstadt die erste Nachkriegszeitung. Die Erstausgabe der Aachener Nachrichten liegt natürlich im Original aus. Schlagzeile: „Russischer Siegeszug rollt weiter. Ostpreußen überrannt.“ Mit dem 9. November 1989 titelte sich auch die taz in Aachens Museumsvitrinen: „Die Mauer tritt zurück. Wann geht Kohl?“

„Papier ist sehr sinnlich“, findet Führer Dieter Redetzky und demonstriert der Lehrergruppe das Schöpfen einzelner Blätter. „Ein fast meditativer Vorgang“, sagt er andächtig und hat im Handumdrehen einen edlen Bogen mit Wasserzeichen hergestellt. Danach darf Frau Lehrer ran. Ihr löchriges Werk reißt. Zu wenig Meditation? Man grinst.

Papier gilt als geduldig, ist aber kein Produkt für Jahrhunderte. Besonders die älteren Exponate bedürfen dringend der Restauration und alle der digitalen Sicherung. Gern würde der Förderverein einen Scanner kaufen, doch der kostet mindestens 20.000 Euro, sagt Museumssprecher Ferdinand Josephs. Woher nehmen? Das kleinere Problem wären noch die geschätzten acht Menschenjahre Jahre Arbeit zur Erfassung des Bestandes. Freiwillige melden sich genug.

Auch heute bietet sich einer den Museums-Ehrenamtlichen an: „Ich würde mal prüfen, ob Digitalfotos nicht billiger sind.“ Bei 170.000 Exemplaren wären das einige Millionen mal Klick. „Wenn ich pensioniert bin“, sagt er, „könnte ich zwei Tage die Woche hier was tun.“

Öffnungszeiten: Mo.–Fr. 9.30–13.00 Uhr. Im Netz: www.izm.de