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Archiv-Artikel

Jahrmarkt der Verzweifelnden

„Ich bin hier auf der Messe, weil ich nichts zu verlieren habe“„So hochgradig peinlich ist das ja nicht, mit all den anderen hier“

AUS DÜSSELDORF KLAUS JANSEN

Aus der Ferne hat es etwas von einem Straßenfest. Auf dem Düsseldorfer Schadowplatz, in Sichtweite der noblen Königsallee und dem Steigenberger Parkhotel, stehen ein weißes Zelt und drei kleine Pavillons. Die Blumenkübel auf dem Platz sind an diesem Samstag besonders hübsch, in einem wächst sogar eine kleine Palme. Ab und zu kommt sogar die Sonne aus den Wolken. Das schicke Ambiente täuscht jedoch über den Ernst der Veranstaltung hinweg: In den Zelten gibt es keine Musik und Bratwurst, sondern lebende Ausstellungsstücke. Zu betrachten sind Biografien und die zugehörigen Menschen. Arbeitslose Menschen. Live und auf der Straße. „Job! Die Messe“ nennt sich das.

120 arbeitslose Akademiker und Führungskräfte präsentieren sich dort, sortiert nach Berufszielen und Qualifikation. Sie warten darauf, dass Unternehmer kommen und ihnen einen Job anbieten. Die wiederum können, so das Messekonzept, sich das Sichten hunderter Bewerbermappen sparen und unkompliziert mit qualifizierten Arbeitssuchenden in Kontakt treten. Die Idee ist einzigartig: Jobmessen gibt es zwar viele in Deutschland, aber Arbeitslose, die sich auf offener Straße anbieten, hat es seit der Weimarer Republik nicht mehr gegeben, als Jobsuchende um den Hals gebundene Papptafeln durch die Städte trugen.

Mitleid erregen wollen die Macher der Jobmesse jedoch nicht. „Wir wollen nicht jammern, sondern Eigeninitiative und Selbstbewusstsein zeigen“, sagt Kathrin Schoenborn. Die 30-Jährige ist arbeitslos trotz zweier Universitätsdiplome in Pädagogik und Sozialpädagogik. Gemeinsam mit einem 15-köpfigen Team hat sie die Messe in rund 3.000 Stunden ehrenamtlicher Arbeit auf die Beine gestellt. Schoenborn ist stolz auf das, was die Gruppe geleistet hat. „Für das Selbstwertgefühl war es unglaublich wichtig, wieder eine Aufgabe zu haben. Sie glauben gar nicht, was für Klasseleute sonst psychisch am Krückstock gehen.“ Doch die Messe soll mehr sein als nur Seelenbalsam – sie ist in den Augen der Macher schlicht notwendig. „Die Arbeitsagenturen sind überlastet. Die können Hochqualifizierten gar nicht richtig helfen, selbst wenn sie wollen“, sagt Schoenborn.

Dass sie ihn nicht unterstützen können, das haben die Menschen von der Arbeitsagentur auch Friedhelm Hosono gesagt. „Überqualifiziert“ sei er, hieß es. Der Mann mit den grau melierten Haaren und dem grau melierten Anzug steht an einem Stehtisch im Zelt, sein Lebenslauf und sein Foto hängen an einer Stellwand neben ihm. Vor einem Jahr war der IT-Spezialist noch Abteilungsleiter in einer großen Bank und Chef von 20 Mitarbeitern. Dann entschied das Unternehmen zum Jahresbeginn, zwei Drittel ihrer IT-Abteilung auszugliedern. Friedrich Hosono protestierte bei seiner Chefin. Einen Tag später präsentierte sie ihm einen Auflösungsvertrag. Hosono unterschrieb, um der sicheren Kündigung zuvorzukommen. Seitdem ist der 47-jährige Vater von zwei Kindern arbeitslos. „Das habe ich mir nie vorstellen können“, sagt er.

120 Bewerbungen hat er seitdem verschickt, jede 20 Seiten dick. Erfolglos. „Ich habe zwei Nachteile“, sagt Hosono. „Ich bin alt und ich habe bisher nur bei großen Unternehmen gearbeitet. Kleinere Firmen nehmen mich nicht mehr – die haben Angst, dass ich zu anspruchsvoll bin und ihnen den Laden umkrempele.“ Doch man kann es sich nicht gut vorstellen, dass der etwas steif wirkende Mann mit der leisen Stimme einen Laden in diktatorischer Manier umkrempelt. Und seine Ansprüche hat er auch geändert: „Meine Gehaltsvorstellungen habe ich um 40 Prozent gesenkt“, sagt er. Herr Hosono will arbeiten – und hofft. „Wenn die Wirtschaft wieder anspringt, werden in der IT-Branche zuerst wieder Stellen frei“, glaubt er. Außerdem müsse der Arbeitsmarkt flexibilisiert werden. Kürzere Kündigungsfristen wünscht er sich, damit Menschen wie er wieder eingestellt werden könnten.

Zwei Stände neben Herrn Hosono steht Michael Asmussen. Um sich herum hat er Flyer platziert mit allem, was man so zu seiner Person erfahren möchte. Der Jurist ist seit zwei Jahren ohne feste Anstellung. Während seines Studiums hat er Blumen verkauft, in Hotels gearbeitet und, wie er sagt, „nach dem ersten Staatsexamen etwas gebummelt“. Jetzt ist er 35, und seine ehemaligen Kommilitonen verdienen zum Teil 100.000 Euro im Jahr. „Ich bin hier auf der Messe, weil ich nichts zu verlieren habe“, sagt er. „So hochgradig peinlich ist das ja nicht, mit all den anderen hier.“ Warum es denn überhaupt peinlich sein könne, arbeitslos zu sein? Asmussen überlegt. „Naja, das gesellschaftliche Stigma gibt es schon noch.“

Viele Messeteilnehmer denken so. Als Hochqualifizierte hatten sie Arbeitslosigkeit in ihrem Leben nicht eingeplant, umso schwerer ist es für sie, damit umzugehen. Zum Beispiel für Julie Shimizu. Die 27-jährige Tochter einer Deutschen und eines Japaners hat Volkswirtschaftslehre studiert, in Weiterbildungseinrichtungen für Führungskräfte gearbeitet und Auslandserfahrung in den Niederlanden und Japan gesammelt. Als sie arbeitslos wurde, habe sie nicht damit gerechnet, lange ohne Job zu bleiben, sagt sie. Nun, 90 Bewerbungen später, steht auch sie am Schadowplatz. Wenn man mit ihr spricht, klingt sie, als befände sie sich in einem Bewerbungsgespräch: „Ich will nicht abstumpfen, auf dem Sofa hängen und fernsehen.“ Selbstbewusst fährt sie fort: „Ich habe viele Stärken und bin kompetent.“ Was sie tun würde, wenn sie zwischen einem Job als Kassiererin oder 350 Euro Arbeitslosengeld II wählen müsste? „Nichts von beidem“, sagt sie, „ich würde mich selbstständig machen.“ Dann lacht sie, ein wenig zu laut, und wartet darauf, dass unter den Messebesuchern der Unternehmerprinz erscheint, der sie befreit.

Tatsächlich kommen zahlreiche Besucher auf den Messeplatz. Passanten vor allem, kopfschüttelnde Rentner, besorgt um den Zustand der Republik. Düsseldorfs CDU-Oberbürgermeister Joachim Erwin natürlich, der die Messe für eine „tolle Sache“ hält und im Vorbeigehen noch schnell die Arbeitsmarktpolitik von Rot-Grün abkanzelt. Oder die 15-jährige Schülerin Katja, die für ihre eigene Karriere schwarz sieht, „wenn schon Juristen und so nix kriegen“. Auch ein Mann von Attac Düsseldorf ist da, um mit einem Plakat einsam gegen die Hartz-Reformen zu demonstrieren. Die Idee der Jobmesse findet auch er prima.

Nur eine Gruppe ist kaum zu finden: die Unternehmer. Viele haben bereits im Vorfeld abgesagt. „Bewerber kennen unsere Adresse, hieß es oft. Das ist arrogant“, sagt Jürgen Fulde, Schirmherr der Messe und Chef einer Personalberatungsfirma. Immerhin 40 Unternehmen hätten aber ihr Kommen zugesagt. „Viele kommen inkognito“, vermutet er. Schließlich gebe es in vielen Firmen Einstellungsstopps, da wolle man sich nicht öffentlich bei der Personalsuche blicken lassen. Doch auch Fulde muss mit ansehen, dass die Klappstühle in dem Pavillon, der für Bewerbungsgespräche reserviert ist, bis auf drei oder vier Ausnahmen den gesamten Tag über leer bleiben. Trotzdem hält er an der Idee der Jobmesse fest. „Die Messe muss eine Marke werden, dann kommen auch mehr Unternehmen.“ Fulde plant halbjährliche Folgeveranstaltungen. Außerdem gebe es Anfragen aus Berlin, München und Nürnberg, die Ähnliches planen.

Ob Kathrin Schoenborn dann noch einmal als Projektleiterin dabei ist, ist unsicher: „Grundsätzlich würde ich gerne – aber nicht mehr ehrenamtlich. Irgendwie muss ich ja auch leben.“ Wie sie so dasteht auf dem Schadowplatz und an ihrer Zigarette zieht, wirkt sie auf einmal furchtbar müde. Vielleicht werde sie sich mit der Idee der Jobmesse selbstständig machen, sagt sie. Vielleicht habe sie bis dahin ja auch endlich einen Job. Auf dem Messetag hat sich bis zum Nachmittag für sie jedenfalls nichts ergeben. Auch nichts für die Volkswirtin Shimizu und den Juristen Asmussen. Ein paar Leute haben Flyer eingesteckt, aber „ohne zu reden“, sagt er. Und auch Friedhelm Hosono steht kurz vor Ende der Veranstaltung immer noch allein an seinem Stehtisch im Zelt und schaut in die Luft. Sein Gesicht zeigt: Dieser Tag schmerzt mehr als hundert vergebliche Bewerbungen.