: Dichtender Grenzüberschreiter
Der Kölner Schriftsteller Guy Helminger, einer der Prämierten beim diesjährigen Bachmann-Preis, lässt sich in der Literaturszene schwer verorten. Der gebürtige Luxemburger sieht sich als Nomade
Von Roberto Di Bella
Als Guy Helminger 1990 seinen Roman „Die Ruhe der Schlammkröte“, der in der legendären Kölner Punkkneipe „Station“ spielt, im Selbstverlag veröffentlichte, konnte er nicht ahnen, dass er sich damit im kulturellen Gedächtnis dieser Stadt verewigen würde, zumindest in dem einer bestimmten Generation.
In Kneipen geht (und liest) Helminger zwar immer noch gern, aber es nervt ihn, wenn man ihn weiter in die Schublade eines kölschen Bukowski stecken möchte. Stilistisch und thematisch ist er mittlerweile ganz woanders angekommen. Die Zeit als Barkeeper Ende der 80er Jahre jedoch, als er sich so sein Philosophie- und Germanistikstudium finanzierte, war für ihn als Schriftsteller prägend. Die Heftigkeit der Musik, die abgehackte Sprache, der schwarze und bissige Humor des Szenepublikums, das Exzessive des Lebensstils sind in seine Lyrik, Erzählungen und Hörspiele als Substrat eingegangen.
Beim diesjährigen Bachmann-Preis in Klagenfurt hat der 41-jährige Luxemburger mit seiner Erzählung „Pelargonien“ das ebenso beklemmende wie absurd-komische Porträt eines jungen, offensichtlich wahnsinnigen Mannes abgeliefert, der vom Leben eines Unfallopfers Besitz ergreift. Jury wie Publikum überzeugte Helminger durch seinen ganz eigenen Stil. Dafür erhielt er den mit 7.500 Euro dotierten 3Sat-Preis.
Wahn und Wirklichkeit
Helminger schafft Spannung jedoch nicht durch spektakuläre Ereignisfolgen. Zwar spielt er immer wieder mit Versatzstücken aus dem Thriller- und Westerngenre. Ebenso aber unterlaufen windschief aneinander vorbei gebaute, surreale Dialoge und eine stark lyrische Erzählweise diese Erwartungen. Der Showdown soll nicht im Text, sondern in den Köpfen der Leser stattfinden, deren Assoziationen Helminger möglichst viel Freiraum lassen möchte. Seine Antihelden durchleben oftmals auch das, was an latenter und unvermittelt ausbrechender Gewalt vielleicht unter der Oberfläche eines jeden von uns steckt. Was dabei Wahn, was Wirklichkeit ist, bleibt jedoch oft ununterscheidbar.
Seit nunmehr zwanzig Jahren lebt und arbeitet der 1963 in einer luxemburgischen Kleinstadt geborene Helminger in Köln. Aber in der hiesigen Literaturszene lässt er sich nur schwer verorten. Zwar gibt es Kontakte zur Gruppe der „Rheinischen Brigade“ um Enno Stahl oder dem Lyrikverlag „Parasitenpresse“. Aber er selbst sieht sich als literarischen Nomaden. Bewusst ist er in einem luxemburgischen wie in einem deutschen Schriftstellerverband. „Ver-Wanderung“, der Titel seines jüngsten und vierten Gedichtbandes, ist insofern programmatisch auch für Helmingers körperliche Poetik der Grenzüberschreitung – zwischen Ländern, Bewusstseinszuständen, Stilen und Stimmen.
Ein wichtiger Teil seiner Arbeit ist neben der Prosa und Lyrik das Hörspiel. Sechs davon hat er, meist vom WDR produziert, bisher geschrieben. Auch zwei Theaterstücke gibt es mittlerweile. Überhaupt schreibt Helminger mit dem Ohr. „Eigentlich trifft es auf jede Art von Literatur zu: Man muss sie laut lesen, man muss den Klang der Wörter hören, wie er aus dem eigenen Mund kommt, um dann von außen wieder ins eigene Ohr einzudringen“, sagt Helminger.
Klagenfurt als Sprungbrett
Die Poetryslam-Szene beobachtet er aufmerksam, wo Poeten und Wortakrobaten an die Mikrophone treten und ihre Texte im Rahmen eines Wettkampfes vortragen, oftmals improvisieren. Er selbst ist ein großartiger Performer vor allem seiner Gedichte. Er wühlt förmlich mit ganzem Körpereinsatz in den Klängen und folgt dabei doch einer präzisen Instrumentierung. Kenntnisse, die er mittlerweile auch in Seminaren an andere Autoren weitergibt, die er bei der Präsentation ihrer Texte berät.
Bei uns bislang eher ein Geheimtipp, gehört Helminger in seinem Geburtsland längst zu den bekanntesten Autoren. Überhaupt, findet Helminger, werde die dortige deutschsprachige Literaturszene jenseits der Grenzen kaum beachtet. Vorsichtshalber habe er noch mal nachgefragt, ob er als Luxemburger beim Bachmann-Preis überhaupt mitmachen dürfe. In Klagenfurt hat er dann darauf bestanden, dass hinter seinem Namen im Fernsehen ein L eingeblendet wird. Als ihn dann jemand darauf ansprach, was denn das L zu bedeuten habe, bekam dieser zur Antwort: „Liberia“.
Der jüngste Erfolg dürfte für ihn zum endgültigen Sprungbrett in den deutschen Literaturbetrieb werden. Das Interesse der wichtigsten Verleger zwischen Berlin und München hat er jedenfalls schon.
Lese- und Hörproben gibt es auf www.guyhelminger.de . Texte, Lesungen und Diskussionen aller 18 Teilnehmer an den 28. Klagenfurter Literaturtagen sind abrufbar unter http//bachmannpreis.orf.at