: Grieche für 33 Minuten
In der Kneipe Eka in Prenzlauer Berg feierten Sonntag portugiesische und griechische Fans gemeinsam das EM-Finale. Kein Wunder: Der Wirt ist Grieche, die Wirtin Portugiesin. Ein Teil der Fans wechselt die nationale Leidenschaft nach dem Tor
VON OLIVER TRENKAMP
Um es vorwegzunehmen: Nein, Otto-Rehhagel-Masken wurden nicht getragen. Es gab auch keine Otto-Otto-Rufe. Und auch die umherlaufenden Kinder wurden nicht spontan umgetauft. Das ausgelutschte Wortspiel Rehakles nahm ebenfalls niemand in den Mund. Und das lag nicht daran, dass mehr portugiesische als griechische Fans vor Ort waren.
Die Szenerie: Eine kleine Bar direkt am Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg. Sie heißt Eka, der Chef George Andreadis ist Grieche, die Chefin Paula Gouveia Portugiesin. Das Angebot ist eher portugiesisch: Süßigkeiten und Kaffee kommen von der Iberischen Halbinsel. Immerhin hingen beide Nationalflaggen an der Hauswand. Das versprach Konfliktpotenzial an einem Abend, an dem sich beide Nationen sportlich gegenüberstanden – in Lissabon und im TV.
Die Stimmung tendierte beim Finale der Europameisterschaft am Sonntag eher in Richtung Portugal. Die hellenischen Balltreter wurden zwar auch angefeuert, aber die griechischen Fans – besser gesagt die Kiez-Bewohner, die für Griechenland waren – hielten sich in ihrer Begeisterung zurück, zumindest während des Spiels. Es waren nur wenig „echte“ Griechen gekommen, „echte“ Portugiesen in der Überzahl. Die ganz und gar nicht schweigende Mehrheit bestand aber aus der typischen Prenzl-Berg-Mischung: Studenten, junge Eltern, Kinder, Lebenskünstler, Alternative, ein paar Touristen. Nennen wir sie 90-Minuten-Griechen bzw. 90-Minuten-Portugiesen.
Draußen auf dem Bürgersteig scharten sich etwa 70 Fußballbegeisterte schon eine Stunde vor Anpfiff um einen kleinen Fernseher, der auf wackeligen Bierkästen aufgebaut worden war. Kinder stromerten umher, Wirt und Wirtin kamen mit dem Nachschenken kaum hinterher und hatten daher kaum Zeit für nationale Beziehungskisten. Die „echten“ Portugiesen hatten den Innenraum mit der großen Leinwand in Besitz genommen. Auch hier war kein Platz mehr frei.
Das Spiel: In der ersten Halbzeit ausgeglichen, konstant null zu null. Die Stimmung im Eka locker, entspannt. Die 90-Minuten-Anhänger waren lauter als die „Echten“. Die Kinder jubelten bei jedem Angriff, sie klatschten mit, sobald ein Erwachsener applaudierte.
In der zweiten Halbzeit, nach dem griechischen Tor, jubelten die „echten“ Griechen. Einige vermeintliche 90-Minuten-Portugiesen entpuppten sich als 57-Minuten-Portugiesen und wurden zu 33-Minuten-Griechen. Die „echten“ Portugiesen guckten verzweifelt.
Bei Abpfiff: Gedrückte Stimmung drinnen vor der Großbildleinwand. Draußen Jubel bei den „echten“ Griechen, unterstützt durch die temporären. Höflicher Applaus vom Rest. Die Kinder jubelten und tanzten ausgelassen.
Die griechische Fahne wehte im leichten Abendwind. Sie war größer als ihr portugiesisches Pendant.
„Das war Zufall, wirkt im Nachhinein aber wie ein Omen“, sagt die Wirtin Paula Gouveia. Die ganz große nationale Ehekrise blieb aus. „Ein bisschen Streit“ mit ihrem Freund habe es jedoch schon gegeben. „Aber trennen wollen wir uns nicht“, so Gouveia, obwohl ihr Herz am portugiesischen Sieg gehangen habe.
Ein Gast sah es genauso: „Für die Griechen wäre ein zweiter Platz ein Riesenerfolg gewesen. Die Portugiesen hatten es als Gastgeber mehr verdient.“ Die Versöhnungsparty ging bis drei Uhr nachts. „Echte“ und temporäre Fans feierten gemeinsam und lagen sich in den Armen.
Besonders resolut beantwortete Paula Gouveia die Frage, ob ein gemeinsamer Sohn Otto heißen würde: „Auf gar keinen Fall!“
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