piwik no script img

„Arbeitslosen droht eine Abstiegsspirale“

Harald Rein vom Frankfurter Arbeitslosenzentrum erklärt die Folgen der verschärften Zumutbarkeitsregeln für Erwerbslose. Auch die Arbeitsämter bekommen mehr Druck. „Diplompsychologin musste sich als Putzerin bewerben“

taz: Herr Rein, nach dem Gesetzentwurf für das neue Arbeitslosengeld II sollen Langzeiterwerbslose künftig jeden Job annehmen müssen, den ihnen das Arbeitsamt vermittelt. Was bedeutet das für die Betroffenen?

Harald Rein: Schon jetzt sind die Zumutbarkeitsregeln sehr streng. Wer länger als ein halbes Jahr arbeitslos ist, muss jeden Job annehmen, der nicht schlechter bezahlt wird als die Arbeitslosenhilfe. Zu uns kommen immer mehr Betroffene in die Beratung, denen vom Arbeitsamt Jobs bei Zeitarbeitsfirmen angeboten werden, die gering bezahlt sind und mit der Qualifikation des Erwerbslosen überhaupt nichts zu tun haben.

Es gibt Politiker, die sagen, Arbeitslose müssten nun mal flexibler werden.

Das sagen doch Leute, die mit der Wirklichkeit dieser Erwerbslosen gar nichts zu tun haben. Zu uns kommt beispielsweise der entlassene Chemiefacharbeiter, dem bietet das Arbeitsamt einen Hilfsjob als Verpacker an. Der verliert doch seine Qualifikation und jede Perspektive. Wenn der sagt: Das mach ich nicht, dann bekommt er eine Sperrzeit.

Leiharbeit wurde im Hartz-Konzept als neue Hoffnung für Arbeitslose verkauft.

In der Praxis bedeutet das für viele Arbeitslose aber eine Abstiegsspirale. Mich hat jetzt jemand angerufen, dem wurde ein Hilfsjob bei einer Personalservice-Agentur angeboten, für 5 Euro brutto die Stunde. Der hat Angst, wenn er das macht, findet er nie wieder was seiner früheren Qualifikation Entsprechendes.

Haben die Arbeitsämter den Druck erhöht?

Eindeutig ja. Die Sachbearbeiter bekommen ja auch Druck von oben, die Statistik zu bereinigen. Ich hatte beispielsweise eine 57-jährige Diplompsychologin in der Beratung, der hat man gesagt, sie müsse sich 10-, 20-mal im Monat bewerben. Als Lagerarbeiterin, als Putzerin und so weiter. Die Frau muss dann auch richtig zielgerichtete Bewerbungen vorweisen, die sich auf die angebotene Stelle beziehen, ein Standardbrief reicht nicht.

Ist es für solche Arbeitslosen nicht einfach, sich schlicht ungünstig zu präsentieren, um dann vom Arbeitgeber nicht genommen zu werden?

Der Arbeitgeber kann dem Arbeitsamt nach dem Vorstellungsgespräch immer schriftlich mitteilen, er habe den Eindruck, der Bewerber wolle die Stelle gar nicht. In dem Fall müsste der Erwerbslose dann wieder das Gegenteil beweisen, denn die Beweispflicht liegt ja jetzt bei ihm. Da wird schon Druck aufgebaut.

Politiker haben aber doch immer gefordert, die Arbeitsämter sollten sich mehr um die Joblosen kümmern.

Es gibt doch für die Leute gar keine geeigneten Stellen. Das bedeutet, dass manche Erwerbslosen dann nur in irgendwelche Trainingsmaßnahmen gedrückt werden. Bei uns war ein Arbeitsloser, der musste innerhalb eines Jahres dreimal an Trainingsmaßnahmen mit Bewerbungskursen teilnehmen. Der hat dreimal immer neu seinen Lebenslauf geschrieben, immer hieß es, der alte Lebenslauf sei ja nun wohl noch sehr verbesserungsbedürftig. So was empfinden die Betroffenen als sinnlos.

Melden sich viele Arbeitslose dann ab?

Für Frankfurt kann ich sagen, dass die Zahl der Sperrzeiten gestiegen ist. Und die Zahl der so genannten Meldeversäumnisse. Da hat das Arbeitsamt beispielsweise mal 1.000 Erwerbslose auf einen Schlag vorgeladen, davon kommen dann 100 nicht, die fallen erst mal aus der Statistik.

Nach dem neuen Gesetzentwurf will man bei Arbeitslosen unter 25 Jahren künftig besonders streng vorgehen.

Jugendliche sind ja noch emotionaler, die öffnen Briefe nicht, die sagen: Leck mich am Arsch. Die fliegen dann künftig eben auch schneller aus der Statistik – das wird der Haupteffekt des neuen Gesetzes sein.

INTERVIEW: BARBARA DRIBBUSCH

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen