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Archiv-Artikel

Die Prinzessin der Toreros

Beim Todesstich hat Ana noch Schwierigkeiten. Fürs Erste muss sie in der Provinz auftreten

AUS MADRID REINER WANDLER

Anas Körper ist angespannt. Ihr Blick ruht fest auf den Hörnern. Ihr Oberkörper krümmt sich leicht. Gleichmäßig lässt sie mit der Linken das rote Tuch langsam über den Boden streichen. Die Rechte hebt den Degen. Plötzlich entlädt sich die gesamte Energie in einem Schritt nach vorn. Die Klinge versinkt bis zum Heft hinter den Hörnern, dort, wo der Nacken in die Schultern übergeht. Ana wendet sich in einer eleganten Bewegung ab und schaut mit ernstem Gesicht ins imaginäre Publikum. Dann entspannt sie sich und zieht die lange, spitze Waffe aus dem Gummi. Ihr Kollege stellt sich mit dem Karren, der den Stier imitiert, erneut auf. Ana nimmt wieder ihren Platz ein, konzentriert sich und beginnt die Übung von vorn.

An der Wand prangt das Motto, der Stierkampfschule von Madrid: „Beim Stierkampf eine Größe zu werden, ist fast ein Wunder. Aber wem es gelingt, dem kann der Stier das Leben nehmen, den Ruhm niemals.“ Auch Ana Infante, die älteste von vier Frauen an der Schule, hat dies für sich akzeptiert. Wie ihre 80 männlichen Kollegen träumt die 20-Jährige vom großen Erfolg in den bekannten Arenen Spaniens, Südfrankreichs oder in Lateinamerika.

Seit vier Jahren kommt sie Tag für Tag drei Stunden an den Rand der Casa de Campo, dem Stadtwald von Madrid. Eine Stunde Gymnastik und körperliches Training, zwei Stunden toreo de salón stehen auf dem Programm der Schule, die den Ruf hat, die beste der Welt zu sein.

Zum Warmmachen geht es auf einen kleinen Stierkampfplatz, wie er auch auf Dorffesten aufgebaut wird. Hier spielen die Schüler Ball, laufen im Kreis, machen Dehnungsübungen. Danach trainieren sie in vier Gruppen aufgeteilt in der Halle gleich nebenan pases, die Schritte mit dem Umhang, in den später einmal der Stier laufen soll. Ein Kollege imitiert den toro mit einer Stange, die an den Enden Hörner trägt. „Grrrschh“, macht er dabei, so ähnlich soll der Atem des über eine halbe Tonne schweren Stieres klingen, vor dem sie sich eines Tages bewähren wollen.

Für Anas Gruppe steht heute matar – das Töten – auf dem Trainingsplan. „Das ist der schwierigste Teil des Stierkampfes“, erklärt die schlanke Frau. „Ein Stich entscheidet zwischen Triumph und Niederlage.“ Sackt der Stier nach dem Degenstoß blitzartig in sich zusammen, ist dies der krönende Abschluss des Auftritts. Erwischt das spitze Eisen einen Knochen und springt zurück, ruiniert dies auch die beste Vorstellung unwiderruflich. Das weiß sie aus eigener Erfahrung.

Bei der Präsentation des Nachwuchses der Stierkampfzunft stach Ana beim letzten Tier falsch zu. Das Publikum, das bis dahin mit begeisterten „Olés“ jeden Schritt der sich elegant bewegenden Frau quittierte, wandte sich enttäuscht ab. Statt mit den beiden Ohren des Stieres in der Hand als Beste die Arena zu verlassen, musste sich Ana mit Platz drei zufrieden geben.

Der triumfador und die numero 2 wurden von einem Manager unter die Fittiche genommen. Bereits diesen Sommer treten sie bei Corridas in der „Kathedrale des Stierkampfes“ – Las Ventas von Madrid – auf. Ana geht erst einmal auf Tour durch die Provinz.

Diejenigen, die schon immer gegen die weibliche Präsenz in der Arena waren, fühlen sich bestätigt. Ana kennt die Beschimpfungen als mari macho – als Mannweib. Lehrer Joaquín Bernadó nimmt seine Schülerin gegen solche Angriffe in Schutz. „Ana hat das Zeug zur Stierkämpferin“, sagt er. Sie verfüge über Geschicklichkeit und Eleganz, die Schritte und die Bewegungen mit dem Umhang seien schön anzuschauen. „Doch sie hat das gleiche Problem wie die meisten Frauen. Es fehlt ihr an Kraft“, fügt er nach kurzem Zögern hinzu.

Der 69-Jährige wird von seinen Schülern mit maestro angesprochen. Sie können viel von ihm lernen. Bernadó stand 32 Jahre lang in der Arena, bis eine Verletzung, die ihn noch heute humpeln lässt, seine Karriere endgültig beendete. Nicht nur Ana, alle hätten beim Töten Schwierigkeiten, sagt er. „Während der gesamten Corrida schaut der Torero dem Tier in die Augen. Nur beim Töten nicht. Das macht es so schwer.“

Und dann wiederholt der Maestro einmal mehr, auf was für ihn die Corrida hinausläuft: „Das Ziel ist es, Kunst zu schaffen. Torero ist der einzige Beruf, wo der Kunstschaffende sein Leben aufs Spiel setzt.“ Ob die Frauen letztendlich für das gefährliche Handwerk geschaffen sind, der Meister möchte diese Frage nicht endgültig beantworten. „Sie haben es auf jeden Fall viel, viel schwerer.“

Ana steht ungern Rede und Antwort. Und wenn es über Unterschiede zwischen Mann und Frau in der Arena geht, wird sie noch wortkarger. „Der Stier kennt keine Geschlechter“, sagt sie mit ruhigem, aber bestimmtem Ton. Sie möchte deshalb auch nicht torera, sondern torero genannt werden. „Die weibliche Form klingt meist abschätzig“, findet sie.

Ana lächelt fast nie, als wolle sie den spanischen Sprichwörtern gerecht werden, nach denen ein Stierkämpfer der Ernst in Person ist. Sie erinnert sich noch genau an ihren ersten großen Auftritt. „Es war der 26. Juni 2001 in Cáceres.“ Der Stier war ein zwei Jahre altes Jungtier. „Es war ein seltsames, aber auch ein gutes Gefühl“, beschreibt sie den Moment, als der Stier nach dem Degenstich tot zusammensackte.

Die Begeisterung für den Stierkampf erbte die Tochter eines Berufssoldaten und einer Hausfrau von ihren Eltern. Bereits als kleines Kind nahmen diese sie mit nach Las Ventas. Nicht dass die junge Frau blutrünstig wäre. Für sie ist der Stierkampf vielmehr „Gefühl, Kunst, Leben“. Das Gefühl hat mit ihren eigenen Empfindungen beim Auftritt zu tun, wenn das Tier mitmacht, der muleta, dem Tuch, und jeder Bewegung Anas folgt. „Der Stier gibt sich hin“, nennen das die Anhänger des Festes mit dem wilden Tier. Ob sie dabei Angst habe? „Ja, vor dem Publikum“, antwortet Ana trocken. Bevor sie ihre Umkleidekabine Richtung Arena verlässt, betet sie vor dem eigens aufgebauten kleinen Altar zu Ehren der Mutter Maria.

Bereits als kleines Kind haben die Eltern Ana nach Las Ventas, die Arena von Madrid, mitgenommen

Ihre freie Zeit verbringt die junge Stierkämpferin gern in der Natur, am liebsten auf einer Finca, wo die toros bravos, die Stiere für die Arena, gezüchtet werden. Sollte sie es einmal zu Ruhm und Geld bringen, möchte sie sich selbst eine Farm in Südspanien kaufen. „Ich bewundere die Schönheit der Tiere“, sagt sie voller Begeisterung. Kommt sie nicht aus Madrid hinaus, dann hört sie Flamenco oder schreibt Kurzgeschichten. Durch die Kneipen ziehen wie ihre Altersgenossen, das gefällt Ana nicht. Fitbleiben hat seinen Preis. Keinen Alkohol, keine Zigaretten, täglich zwei Stunden Joggen und dann in die Stierkampfschule. Dort aufgenommen zu werden, bedeutet eine Doppelbelastung. „Hier kann nur trainieren, wer nebenher eine Ausbildung macht oder arbeitet“, erklärt Ana. Nach dem Abitur studiert sie Sportlehrerin.

Über Techtelmechtel mit Jungs befragt, grinst Ana erstmals. „Für eine Beziehung hab ich keine Zeit“, sagt sie dann kurz und bündig. Und sowieso: So mancher Macho würde ganz schnell ganz klein, wenn er von ihrer Beschäftigung erfahre. Bis auf eine Freundin, „eine erklärte Stierkampfgegnerin“, beschränkt sich Anas Freundeskreis zusehends auf die Stierkampfschule. Hier fühlt sie sich wohl: „Es ist eine Erfahrung, die ich um nichts auf der Welt missen möchte. Selbst wenn ich nie zu Ruhm gelange, war es das wert. Ich werde hier voll akzeptiert. Keiner macht einen Unterschied zwischen Jungen und Mädchen.“

Es herrscht ein gutes Klima. Alle begrüßen sich zu Beginn des Unterrichts, als hätten sie sich seit Wochen nicht mehr gesehen. „Wir sind alle Freunde“, bestätigt Ana. „Außerhalb der Arena. Innerhalb sind wir Rivalen“, fügt sie dann hinzu. Doch wer die Nachwuchsstierkämpfer während der Auftritte beobachtet hat, weiß, wie sie mitfiebern, obwohl der dort unten ihnen den Rang auf der Liste der Besten streitig machen könnte.

Auf Vorbilder angesprochen, gibt sich Ana ganz philosophisch: „Ich habe vor jedem Respekt, der den Gala-Anzug trägt. Ich kann von allen etwas lernen.“ Nach einer kurzen Pause wird ihr ernstes Gesicht erstmals weicher. „Natürlich gefällt mir Cristina Sánchez, sie ist für mich das, was Zidane im Fußball ist, ein Crack“, gerät sie ins Schwärmen. Sánchez war die erste Frau, die in Las Ventas die alternativa ablegte, also das Recht bekam, den ersten Stier zu töten. Seitdem darf sie den Titel matador tragen. Einmal verließ sie sogar Las Ventas auf den Schultern ihrer Zuschauer durch das große Tor, der größte Triumph für einen torero. Wie Cristina Sánchez kleidet sich auch Ana mit einem himmelblauen Stierkampfanzug.

Vier Sommer lang trat Sánchez in den besten Arenen Spaniens und Lateinamerikas auf, dann bekam sie immer weniger Verträge. Hochzeit und Kind bekräftigten den Entschluss, aufzuhören. Ana weiß um diese Geschichte. „Wir Frauen haben es sicher schwerer“, beginnt sie jetzt doch noch über das Thema zu reden, dem sie so gern ausweicht. „Ich glaube nicht, dass es möglich ist, Kinder zu haben und gleichzeitig in der Arena das Leben aufs Spiel zu setzen.“ Nach einer kurzen Pause, in der sie wieder ihr ernstes Gesicht aufsetzt, meint sie dann: „Man muss jeden Moment leben, wie er kommt.“

Im Augenblick denkt sie nur an eines. Sie ist die erste Frau, die im Ausscheidungswettbewerb für den Nachwuchs bis ins Halbfinale gekommen ist, und sie hat die große Zukunft, von dem das Motto der Schule spricht, zum Greifen nahe.