WATCHING OBAMA (2): ROBERT HABECK SCHREIBT FÜR DIE TAZ NORD EIN TAGEBUCH AUS WASHINGTON : Werkzeuge der Manipulation
Gleich um die Ecke der Böll-Stiftung liegt die Zentrale der amerikanischen „Green Party“. Das klingt bombastischer als es ist. Es ist ein Souterrain-Büro, vielleicht 30 Quadratmeter groß und sieht aus, wie grüne Büros eben aussehen. Der Medienkoordinator Scott McLarty und der Geschäftsführer Brent McMillan sind da. Ihre Urteile zum politischen Prozess fallen zunächst noch abwägend aus. Obama, das sei „Smoke in the air“ – Rauch, aber kein Feuer, es gäbe keine Beziehung zwischen den symbolischen Zeichen, die er zweifelsohne setze, und der Veränderung der Wirklichkeit.
„Wie beurteilt ihr den Stimulus Plan?“, fragte ich. Und erfahre, dass die amerikanischen Grünen statt eines Konjunkturprogramms eine ganz neue Politik fordern: „Main-Street statt Wall-Street“, sagt Brent. Das Geld müsse in das öffentliche Transportsystem gesteckt werden, statt das Geld im Straßenbau zu verpulvern. Das klingt vertraut nach dem Green New Deal. „Vor allen Dingen aber soll kein Geld mehr Aktienunternehmen stützen, nur noch Kleinkredite vergeben werden“, fordert Scott.
Was ist mit der Förderung der erneuerbaren Energien, frage ich. Zustimmung bei meinen Gegenübern. „Aber werden die nicht auch von börsennotierten Unternehmen, also Wall-Street, gebaut?“, wende ich ein. „Genau. Und deshalb muss man die Förderung auf lokale Strukturen umstellen. Auf jedem Haus ein Solardach.“ Ich kenne die Diskussion aus Deutschland. Will man nun tatsächlich Eon und ENBW die Off-shore-Windparks bauen lassen? „Aber nur mit dezentraler Versorgung wird man nicht den Ausstieg aus Atom- und fossiler Energie schaffen“, sage ich. Die Antwort, die wir uns gegenseitig geben: Gebäudesanierung und den Stromverbrauch einschränken. Aber von dem großen Konzept Obamas ist jetzt nicht mehr viel übrig.
„Wenn ihr der Börse und der Globalisierung so skeptisch gegenübersteht, was ist dann mit dem ‚Buy American‘-Bestandteilen des Stimulus Plans, dem Protektionismus, dass nur amerikanische Güter gefördert werden sollen?“ Die amerikanischen Grünen antworten ausweichend: „Wir brauchen eine lokale statt einer nationalen Strategie – von der Nahrungsmittelerzeugung bis zur Energiepolitik. Dezentrale Wirtschaftskreisläufe sind die richtige Antwort.“ Ich erinnere mich, so etwas auch schon einmal auf Parteitagen gesagt zu haben, aber hier, im großen Amerika, klingt es irgendwie „niedlich“. Und auf eine mir noch nicht ganz klare Weise, ist mir das Gespräch plötzlich unangenehm, obwohl nichts von dem, was die beiden sagen, falsch ist.
Dann wird es grundsätzlicher. Ob sie Obama für einen Heuchler halten würden, frage ich. „Obama wird das freundlichere Gesicht der fortgesetzten Bush / Cheney-Administration“, antwortet Scott. Und die Demokratische Partei der „Friedhof progressiver Ideen“. „Aber ist er nicht besser als die Republikaner?“, frage ich. Die Republikaner sind ein letztes Stichwort. Sie werden, so die düstere Prognose von Scott, spätestens nach der nächsten Wahl wieder an der Macht sein, weil sie ein neues Werkzeug haben, das sie 2004 bereits angewandt haben – 2008 jedoch nicht, weil der Sturm, der losgebrochen wäre, hätte Obama die Wahl verloren, zu einem Volksaufstand geführt hätte: Das Werkzeug der Wahlmanipulation. Obama sei zugelassen worden, weil die CIA von den Republikanern schwer enttäuscht war.
Ich verlasse das Haus mit mehr Zustimmung und vor allen Dingen mehr Verständnis für Obama samt seiner Kompromisse, als ich es betreten habe. Und vermutlich werde ich mehr Realo sein, wenn ich nach Deutschland zurückkehre, als ich beim Abflug gewesen war.
Robert Habeck schreibt für die Heinrich- Böll-Stiftung ein „Diary of Change“: www.boell.de.
Fotohinweis:ROBERT HABECK, 39, ist Schriftsteller und Parteichef der Grünen in Schleswig-Holstein. Derzeit besucht er Washington auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung. FOTO: DPA