: Versprechen eingelöst
Auch wenn sie Gospel und Doo-Wop, Indie- und Prog-Rock gleichermaßen draufhaben: Warum es beim Brooklyner Geheimtipp „TV On The Radio“ heute Abend im Molotow trotzdem keinen Crossover zu hören gibt und das auch gut ist
Dass früher alles besser gewesen sei, diese Rede hält sich auch in Teilen des Musikjournalistenstandes. Immer dann, wenn sich Chronisten des Populären zu reif wähnen für das allmonatliche oder -wöchentliche Abfeiern frisch ausgerufener Sensationen, setzen sie der vermeintlichen Schnellebigkeit alte Größe und zeitlose Wahrheit entgegen. Oder auch bloß geharnischtes musikgeschichtliches Wissen, mit dem sich dann alles Neue kurz und klein relativieren lässt.
Gerne geht das einher mit dem Hochhalten von klar umrissenen Genres und deren Gesetzmäßigkeiten. Insofern stellt sich die Band TV On The Radio (kurz TVOTR) derart pessimistischen Rezensenten janusköpfig dar: Früher nämlich, raunen US-Online-Magazine, gab das Trio aus Brooklyn, NY, Konzerte von wahrer Größe, zeigte sich aufs Wesentliche konzentriert und begeisterte trotz mancher Abstimmungsschwäche.
Nun ist dieses „früher“ gerade mal im vergangenen Sommer gewesen, als TVOTR ihre erste EP Young Liars vorgelegt hatten. Und eines lässt sich ihrem Sound kaum attestieren: die Festlegung auf eine klar einzugrenzende popmusikalische Sparte.
Inzwischen regelmäßig als Quintett zu Werke schreitend, zeigen sich TVOTR als Eklektiker. Ihre Beschäftigung mit Doo-Wop und Gospel, New-York-typischem 80er-Jahre-Gitarrengedröhne und ambitioniertem Prog-Rock-Snobismus, verschrobenem NuSoul oder schlaksig rumpelndem Funk dient allerdings nicht der Zurschaustellung des eigenen musikalischen Bildungsstandes. Auch zielen sie nicht darauf ab, nach landläufiger Meinung unvereinbare Sphären nun erst recht ineinander zu crossovern.
TVOTR gelangen mit ihrer offenherzigen Art vielmehr zu einem so seltenen wie einnehmenden Entwurf explizit schwarzer Rock-Band-Musik. Was Bands wie Living Colour bis vor etwa zehn Jahren als Versprechen formulierten, aber nie einglöst wurde: hier ist es. Alexander Diehl
Heute, 21.30 Uhr, Molotow