: Verlängertes Wohnzimmer
Seit viereinhalb Jahren herrscht in der Schilleroper Barbetrieb, seit einem Jahr ist sie unter Nils Rose und Christopher Vanja für Überraschungen gut. Eine Liebeserklärung vom Klassik-DJ der Schilleroper
Von Torsten Nowicki
Fünf Jahre sind vergangen, seit ich zum ersten Mal in meiner Heimat regelmäßig die Musik auflegte, die ich zu Hause gerne höre. So macht das jeder DJ. Was im Schrank steht, muss über die Lautsprecher in die Herzen der Menschen. Was bei mir im Schrank steht, ist Klassik. Mittlerweile steht sogar der Boden voll, weil der Schrank zu klein ist. Und die Menschen haben verdammt noch mal ein Recht darauf, diese wunderbare Musik in ihrem Club zu hören!
Im Jahre 2001 in Hamburg angekommen, folgten ein paar klägliche Versuche, die hiesigen Clubbesitzer von der Notwendigkeit klassischer Musik zu überzeugen. „Mannheimer Schule? Wiener Schule? Wozu? Wir ham doch Hamburger Schule!“
Also wo ist nun der Club, in dem man auch Klassik hören kann? Hier ist er, er steht in Hamburg und hört auf den klangvollen Namen Schilleroper. Das Gebäude war einmal ein Theater, dessen Foyer nun dem Barbetrieb dient. Und hier fand ich endlich meine Heimat als Klassik-DJ. Den stillen Hafen des kulturellen Untergrundes. Gleich hinter der unscheinbaren, mit Dutzenden von Plakatschichten bedeckten Türe materialisiert sich der Club gewordene Traum des verlängerten Wohnzimmers. So wollen es die derzeitigen Betreiber Nils Rose und Christopher Vanja auch verstanden wissen.
Die Herren der Schilleroper stehen nicht nur hinter dem Tresen, sondern auch hinter jeder ihrer Veranstaltungen. Zum Glück habe ich den Geschmack der beiden getroffen. Außergewöhnliches ist hier Programm: chilenischer Jazz, experimentelle Streicher aus Wien, elektronische Live-Duelle aus Hamburg. Swing tanzen ist in der Schilleroper nicht verboten, provokante Lesungen und Performances gibt es zuhauf.
Ich fühle mich in guter Gesellschaft: viele Nischen bilden einen Raum, in dem man sich gerne aufhält. Gäste, Gastgeber und Künstler nähern sich an jedem Abend einander an. Am Regal, zwischen der Hausbibliothek und den Spirituosen verkündet ein beschrifteter Klebestreifen: „Mehr Ernst – mehr Skepsis – mehr Saufen!“ Genau.
Nichts an der Schilleroper ist unpersönlich, hier findet noch echte Konversation statt. Auch über Klassik. Sie ist ein Diskursmotor, ein Katalysator der geistreichen Konversation, und das merke ich jedes Mal. Wie kann es sein, werden manche fragen, dass man während Marco Uccellinis Bergamasca-Variationen von 1649 über Jazz und Improvisation parliert? Warum nur erinnert John Adams an Techno? Warum glauben Atheisten plötzlich an Gott, wenn sie Monteverdis Magnificat hören? Es verwundert mich nicht. Und wenn die stets interessanten Gäste auf den gemütlichen Sofas lümmeln, ins Gespräch über Musik und das Leben vertieft, oft innehaltend und lauschend, oder sogar – ja wirklich! – ekstatisch mit der Musik im Tanze verschmolzen sind, lächelt Nils hinter dem Tresen. Und ich lächle zurück, denn ich spüre, dass in keinem anderen Club die Atmosphäre so intensiv ist wie in der Schilleroper. Tausend Dank!
Am Samstag feiert die Schilleroper ihren einjährigen Geburtstag mit einem Konzert von Neoangin (Jim Avignon) und den DJs Mauru und Nicromantik (mfoc). Am Sonntag gibt es eine „Random-Jukebox“ aller DJs des Hauses.
Samstag, 22 Uhr: Geburtstagskonzert mit „Neoangin“, anschließend Party; Sonntag, 22 Uhr: Random-Jukebox; Schilleroper, Bei der Schilleroper 14