: Frontfrauen nach vorn!
Mit entspanntem Selbstbewusstsein geht die weibliche Musikszene zu Werke. Schließlich gibt es in Berlin so viele Frauenbands wie noch nie. Das heute beginnende Ladyfest macht aber weiterhin die Notwendigkeit einer Feminisierung der Popkultur aus
von OLGA-LOUISE DOMMEL
Sie legt den Kopf in den Nacken und spuckt schwungvoll in die Luft. Als der Rotzebatzen seinen Rückweg antritt, fängt sie ihn mit geöffnetem Mund auf und verschluckt ihn. Darf ich vorstellen: Fräulein Pink. Im Jahr sieben nach Riot Grrrl. Sie ist nur eine von vielen selbstbewussten, erfolgreichen Mädels und Frauen, die im 21. Jahrhundert gute Musik machen. Täglich turnen Frauen in allen Facetten über den Bildschirm: Avril Lavigne, Lil Kim, Christina Aguileira, The Donnas … Buh, Mainstream! Ausland! sagt ihr.
Also gut, gehen wir in den Keller, in den musikalischen Keller von Berlin. Und was finden wir da? Cobra Killer, Angie Reed, Chicks On Speed, Mina, Loreena and the Bobbits. Und im Erdgeschoss: Paula, 2Raumwohnung, Wir sind Helden, Miss Kittin, Rosenstolz, Peaches, Mia. Und das sind lange noch nicht alle. Ob Digi-Stress, Pop, Punk, Elektro oder HipHop-Trash – ob als Solistin, Duo, Trio, Frontfrau oder im Duett mit einem Herrn: Überall sind Damen am Werk.
Noch nie gab es in Berlin so viele musizierende Mädels wie heute. Klar, die Berliner Musikszene ist insgesamt dicker geworden, aber der Anteil der Frauen – nicht zu vergessen: die weiblichen Djs – ist in den letzten Jahren enorm gestiegen. Über die Gründe kann man nur spekulieren. Vielleicht hat der krawalltütige Punkprotest, mit dem Anfang der 90er-Jahre die Riot Grrrls über die Musikindustrie herfielen, seine Spuren hinterlassen. Oder hat der Ost-West-Zusammenwachs-Wind für mehr Gleichberechtigung gesorgt? Man weiß es nicht. Jedenfalls gehen viele der Berliner Künstlerinnen mit einer sehr entspannten Selbstverständlichkeit ihren musikalischen Tätigkeiten nach.
Die meisten von ihnen definieren sich über die musikalische und inhaltliche Qualität ihrer Arbeit und nicht über ihr Dasein als Frau. Der aktionistische Feminismus, mit dem manche Hamburger Musikerinnen gern Diskussionsbarrikaden errichten, spielt für die wenigsten eine Rolle. Jungs bzw. Männer sind natürlicher Bestandteil ihrer Welt und keine Bösewichter, die ihnen Steine in den Weg zum Plattenladen legen. Da diese gelebte Gleichberechtigung der Berliner Musikmädels und -frauen äußerst erfreulich ist, irritiert das Motto des „Ladyfestes“, das vom 4. bis 15. August erstmalig in Berlin stattfindet, umso mehr. „Female Up! Berlin“ haben sich die Veranstalterinnen auf die Fahnen geschrieben. Ihr Ziel ist: „Feminismus in die Popkultur!“, denn sie haben festgestellt, dass „die Diskrepanz zwischen dem Anteil von Männern und Frauen auf der künstlerischen Seite der Musikbranche immer noch besteht“.
Das erste Ladyfest wurde vor drei Jahren in Olympia, Washington von ehemaligen Riot Grrrls organisiert. Seitdem hat sich die Idee, mit Workshops, Lesungen, Konzerten etc. ein Forum zu schaffen, um die künstlerische und politische Arbeit von Frauen zu unterstützen, bis nach Europa verbreitet. Auch beim Berliner Ladyfest gibt es Partys, Filmnächte, Diskussionsrunden, Workshops und ein Konzert. Inhaltlicher Schwerpunkt ist zwar Musik, und die teilnehmenden Künstlerinnen kommen fast ausschließlich aus Berlin, aber außer den Femmes With Fatal Breaks und Kevin Blechdom kennt man nur wenige.
Das Veranstaltungsprogramm samt „Gesprächsrunde zu Popfeminismus und Musikmedien“, bei der Themen wie „Rollenmodelle für Frauen im Musik/Kunstbiz“ und „Aktionsformen feministischer Popkultur“ diskutiert werden sollen, vermittelt eher den Eindruck einer Selbsthilfegruppe als den einer feministischen Avantgarde. Die Organisatorinnen bemühen sich um ein Netzwerk für musikinteressierte Frauen, die sich in der vermeintlichen Männerdomäne Musik nicht durchsetzen können. Das hat gewiss seine Berechtigung, aber es bleibt die Frage, ob diese Art von Initiative nicht letztendlich zu einer Isolation der Frauen führt.
Würden sie nicht viel mehr davon profitieren, die oben erwähnten Musikerinnen und Musiker mit einzubeziehen? Ist der selbstverständliche Umgang miteinander nicht viel hilfreicher als die agitatorische Kreation feministischer Konzepte? Auf einem solchen Ladies-and-Gentlemen-Festival könnte man die Stil- und Typenvielfalt der weiblichen Berliner Musiklandschaft feiern, anstatt das mangelhafte Zahlenverhältnis zu beklagen. Und viele Leute würden das Festival besuchen, weil sie einfach die Musik interessiert, die dort zum Besten gegeben wird. Denn Musik ist Musik ist Musik.
4.–15. August, Programm unter www.female-up.ch.vu