: Sozialgericht vor wachsenden Aktenbergen
Wegen der Hartz-IV-Reform wird im Jahr 2005 eine Klageflut erwartet. Zudem werden ab Januar Sozialhilfestreitfälle nicht mehr vorm Verwaltungs-, sondern vorm Sozialgericht verhandelt. Die Justizverwaltung sagt Unterstützung zu
Nicht nur für die Bezieher von Arbeitslosengeld bringt die größte Arbeitsmarktreform der letzten Jahrzehnte gravierende Veränderungen mit sich. Auch die Gerichtsbarkeit steht vor tief greifenden Umwälzungen: In einer Nacht-und-Nebel-Aktion hatte der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat im Dezember beschlossen, dass die Sozialgerichte ab 1. Januar 2005 für alle Rechtsstreitigkeiten rund um die Sozialhilfe zuständig sein werden. Bisher sind Sozialgerichte ausschließlich mit dem Sozialversicherungsrecht befasst – wozu das Rentenrecht und die Arbeitslosenversicherung in Form von Arbeitslosengeld und -hilfe gehören. Die Zuständigkeit für die Sozialhilfe, die keine Versicherung, sondern eine staatliche Leistung ist, lag bei den Verwaltungsgerichten.
Das soll nun anders werden. Wenn Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammengelegt werden, mache es Sinn, auch die damit verbundenen Rechtsstreitigkeiten unter einem Dach, dem der Sozialgerichte, zu bündeln, sagen Befürworter. Gegner wenden ein: Es sei egal, welches Gericht für Sozialhilfeangelegenheiten zuständig ist – „die Betroffenen werden überall gleich gut behandelt“. Die Veränderung der Zuständigkeiten führe nur zu unnötigen Reibungsverlusten, und das in einer Zeit, in der mit einem erheblichen Mehr an Klagen zu rechnen sei. „Die mit Hartz IV einhergehenden finanziellen Einbußen gehen ans Eingemachte“, sagen Juristen. „Das werden die Leute nicht ohne weiteres hinnehmen.“
Aber nicht nur für die kleinen Leute, auch für die Richter werden die Zeiten härter. Damit, dass die Verwaltungsgerichte die Sozialhilfefälle an das Sozialgericht und Landessozialgericht in der Invalidenstraße abtreten, wird es nicht getan sein. Schon jetzt haben die dort beschäftigten rund 90 RichterInnen mit 400 Fällen pro Kammer und Jahr alle Hände voll zu tun. Mit Sorge fragt man sich, wie hoch der Aktenberg im Jahr 2005 wachsen soll. Ohne Unterstützung werde die Mehrbelastung nicht zu bewältigen sein, ist man sicher. Angesichts der desolaten Haushaltslage Berlins ist aber auch klar, dass es kaum Neueinstellungen von Richtern geben wird.
Umverteilung lautet deshalb das Zauberwort. Da Richter unabhängig sind und nicht gegen ihren Willen versetzt werden können, so Justizsprecherin Andrea Boehnke, „können wir nur werben“. Damit habe die Justizverwaltung aber frühzeitig begonnen. Inzwischen sei man „guter Hoffnung“, rechtzeitig zum 1. Januar sechs Richter und einen Assessor (Richter auf Probe) an das Sozialgericht entsenden zu können. Wenn sich abzeichnet, dass die Klageflut größer wird als erwartet und den Sozialgerichten zudem – wie vom Bundestag geplant – ab 2005 auch noch die Altbestände der Verwaltungsgerichte in Sachen Sozialhilfe aus dem zweiten Halbjahr 2004 aufgebürdet werden, will die Justizverwaltung für weiteren Nachschub sorgen. Dann könnten „sechs weitere Richter“ folgen, heißt es. Die Übernahme der Altbestände ist im 7. Änderungsgesetz zum Sozialgerichtsgesetz (SGG) geregelt, das bereits den Bundesrat durchlaufen hat. Von einer nach der Sommerpause geplanten Anhörung, die auf Antrag des Rechtsausschusses des Bundestages stattfinden soll, hängt ab, ob und wann es beschlossen wird.
Die Ankündigung der Justizverwaltung, sechs Unterstützungskräfte plus Option auf weitere sechs entsenden zu wollen, wird von den Sozialgerichten mit Zufriedenheit aufgenommen. „Damit müsste es machbar sein“, sagt die Sprecherin des Sozialgerichts, Susanne Becker. Der Sprecher des Landessozialgerichts, Axel Hutschenreuther, sieht das ebenso, gibt aber zu bedenken: „Es bleibt abzuwarten, ob es wirklich dazu kommt.“
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