Hinter Dachkante: Der Himmel

In seiner Reihe großer Architekturfilme widmet sich Heinz Emigholz in „Sense of Architecture“ (Forum Expanded) den Bauten der Steiermark

VON BRIGITTE WERNEBURG

Über die eine heilige katholische Kirche lässt sich bekanntlich – und wie es jetzt gerade wieder einmal deutlich wird – nur Schlechtes sagen. In ihrer Rolle als Bauherrin allerdings zeigt sie noch immer wirkliche Größe. Abseits des Vatikans, zum Beispiel in der österreichischen Steiermark, besitzen die kleineren Kirchenfürsten „Sense of Architecture“. Das zeigt sich in Heinz Emigholz’ knapp drei Stunden langem gleichnamigem Film über das unkonventionelle neue Bauen in eben jener Region.

Diese Idee ist nur eine von vielen, die einem beim Betrachten des Films durch den Kopf gehen, und Heinz Emigholz legt sie einem selbstverständlich auch nicht nahe. Denn „Sense of Architecture“ gehört in den Werkkomplex „Photographie und jenseits“ des Künstlers und Filmemachers und folgt damit dem restlos puristischen Prinzip, das schon in seinen Filmen über die Architekten Rudolf Schindler, Adolf Loos und Friedrich Kiesler zum Tragen kam und das da heißt: außer Bildern gibt es nichts. Nur eine kurze Texteinblendung informiert über das jeweilige Bauwerk – 42 sind es insgesamt –, den Architekten und das Entstehungsjahr; dazu kommt noch das Jahr der Filmaufnahme. Ansonsten aber verweigert Emigholz jede Erläuterung und jeden Kommentar, die Tonspur transportiert nur die Umweltgeräusche. Und natürlich fehlt jede Auskunft zu Person oder Konzept des Architekten oder Bauherrn.

Und so sitzt der Betrachter am Ende auf Tausend unbeantworteten Fragen – und ist trotzdem restlos glücklich. Denn mehr als Bilder braucht es für die Erfahrung auch des eigenen „Sense of Architecture“ nicht. Allerdings, diese Bilder müssen schon von Emigholz sein. Denn in Emigholz’ Bildern geht es um den Raum – und nicht das Erscheinungsbild – der Architektur. Zwangsläufig geht es nicht um Architekten, die in ihren Entwürfen allein auf das Bild statt auf die Qualität des Raumes aus sind. Es geht also nicht um die in Feuilleton und Lifestylepresse gehypten Stararchitekten, deren rasante Fassaden wirklich nur Fassaden vor den standardisierten Bürokäfigen für die Massenmenschhaltung sind.

Position dank Wettbewerb

In der Steiermark nun findet sich jede Menge Architektur, die sich abseits vom postmodernen Mainstream eigenständig positioniert hat und die es Emigholz erlaubt, „in den Raum hineinzufotografieren“, wie er seine Standbildmontagen aus Einstellungen von sechs oder sieben Sekunden Dauer selbst beschreibt. Dass hier so außergewöhnliche Bauten zu finden sind, hat mit Graz und seiner Nachkriegsgeschichte unter britischer Besatzung zu tun, mit der Universität und Günther Domenig, mit dessen Professur der Fachbereich Architektur einen ungeheuren Aufschwung erfuhr, und vor allem mit dem christdemokratischen Politiker Josef Krainer, der ein Wettbewerbsprinzip für öffentliche Bauten durchsetzte.

Dank dieser besonderen Gemengelage konkurrieren inzwischen hartkantige Betonfaltungen mit den Faltungen des Dachsteingebirges, während sich sattgrüne Wiesen und alte Klostermauern in modernistischen Glas-Stahl-Konstruktionen spiegeln oder ein monumentaler schwarzer Holzhaufen sich als Michael Haberz’ „Haus Werkstatt“ entpuppt. In solchen Idyllen solch unwahrscheinliche Architektur zu finden, ist ein wirkliches Erlebnis. Und dabei geht es Heinz Emigholz in diesen Aufnahmen nur darum, das Bauwerk in seinem Bezug zum Außenraum zu erkunden. Das kann von Nahem gesehen durch ein Stück Dachkante geschehen, hinter dem das Blau des Himmels die solitäre Lage des Gebäudes anzeigt, oder durch die Totale, in der die grandios monströsen Dimensionen von Günther Domenigs T-Mobile-Center St. Marx den umgebenden Wiener Stadtraum zu sprengen scheinen.

Emigholz’ Kamera dekonstruiert das Gebäude in Bilder seiner Fassaden, seiner Winkel oder der Wege, die zu ihm hin oder von ihm weg führen, in Bilder seiner Innenräume und ihrer Abfolge, in Bilder einzelner Gestaltungselemente, des Lichts und der Fenster, durch die es dringt, und dann rekonstruiert er in einer peniblen, visuell ungeheuer konzentrierten Montage die Architektur statt nur das Gebäude. Und nun entdeckt man auch die fast unmerkliche, aber stete Bewegtheit der Bilder, die Blätter im Wind, die Kinder, die einen dämmrigen Innenraum durchqueren; hört das Rauschen des Verkehrs und das Vogelgezwitscher – und dann ist man nicht länger von Bildern, sondern nur noch von Raum umfangen.

„Sense of Architecture“, Regie: Heinz Emigholz. Deutschland, Österreich 2008, 168 Min.; 6. 2., 14 Uhr, Arsenal; Film + Talk: 7. 2., 12 Uhr, Hamburger Bahnhof; 8. 2., 20.30 Uhr, Arsenal