: Verbirg einen Dolch hinter einem Lächeln
Am gedeckten Tisch der Welt findet nicht jeder Platz: Der im Jahr 2000 gestorbene chinesische Künstler Chen Zhen betrieb eine überaus listige Globalisierungskritik. Seine sehr vielfältigen kulturellen Konfrontationen sind jetzt im Westfälischen Landesmuseum Münster zu bewundern
von JENS KASTNER
Das Thema Globalisierung in der Kunst wirkt schon fast abgeschmackt. Dabei ist es noch gar nicht lange her, dass sich auf der Künstlerliste der documenta (1992) nur zwei afrikanische Namen fanden. Zeitgenössische Kunst, die nicht aus Westeuropa oder Nordamerika stammt, befindet sich aber bis heute in einem Dilemma. Zum einen ist sie gefordert, die Herkunftskultur zu repräsentieren, zum anderen muss sie anschlussfähig sein an die Diskurse westlicher Kunst, ohne sich dabei aber dem Vorwurf des Plagiats auszusetzen. Hohe Anforderungen also, um am Tisch der westlichen Kunstwelt Platz nehmen zu dürfen.
Ein überdimensionaler Holztisch steht im Foyer des Westfälischen Landesmuseums in Münster, auf dem mit den Sitzflächen nach innen zeigend 28 Stühle montiert sind, davon je 14 europäischen und asiatischen Ursprungs. In der Mitte der Tafel, die sich wie eine teilende oder wachsende Zelle aus zwei Dreiviertelkreisen zusammensetzt, befindet sich ein dunkler gehaltener Holzkreis mit einer Aufschrift in chinesischen Schriftzeichen: „Ewiges Missverständnis“. Der aus China stammende Künstler Chen Zhen hält damit dem postkolonialen Blick quasi den Spiegel vor. Denn während der runde Tisch Dialog und Konflikt zugleich symbolisiert, ist der Stuhl wohl spätestens seit Van Gogh der populärste Verweis auf den abwesenden Körper.
Die Kritik an der erzwungenen und strukturellen Abwesenheit findet sich auch in anderen Werken des Künstlers. Und dass hier immer globale Prozesse gemeint sind, spiegelt sich allein in der profanen Tatsache, dass jede der großen Arbeiten einem der fünf Kontinente gewidmet ist. Wie auch der zunächst einladend erscheinende Tisch wirken die schwer konnotierten Arbeiten dabei, als wären sie nach der 36. altchinesischen Kriegslist erschaffen: einen Dolch hinter einem Lächeln verbergen.
Im Rahmen des Projektes „Résidence–Résonance–Résistance“, in dem auch der runde Tisch steht, verwirklichte Chen Zhen ebenfalls eine riesige tibetanische Gebetsmühle. Das mit Taschenrechnern und Rechenmaschinen aus allen möglichen Epochen und Kulturen bestückte Religionspraktiziergerät stellt die krampfhafte Hoffnung auf Glück durch materiellen Wohlstand bloß. Diesem natürlich Nordamerika zugedachten Werk steht auch formal jenes zum südamerikanischen Kontinent gegenüber. In kleinen, aus Kerzen angefertigten Häusermodellen, die Chen Zhen zusammen mit Kindern aus brasilianischen Favelas anfertigte, kommen die Exkludierten selbst zu Wort. Hier wird über die Kerze als Metapher für Vergänglichkeit das Leben selbst mit den Visionen und Dystopien moderner Urbanistik kurzgeschlossen. Nicht zuletzt mit dieser Arbeit erweist sich der 2000 jung verstorbene, zuletzt im französischen Exil lebende Künstler als einer jener hybriden Intellektuellen, die laut Stuart Hall auch als Person ihren Gegenstand repräsentieren: die Kritik am Ausschluss.
Anspruch und Aufgabe, die sich dem Künstler dabei stellen, hat er selbst in einem Interview formuliert: sich in verschiedenen kulturellen Kontexten zu verankern (Résider/Wohnen), einen Dialog mit den lokalen Kulturen zu führen (Résoner/Widerhall) und den westlichen „kulturellen Mono-Einfluss“ im eigenen Denken aufzulösen (Résister/Widerstehen). Und auf die Frage, ob nun der Westen oder China seine Welt sei, antwortet Chen Zhen mustergültig: „Sie ist irgendwo dazwischen.“
Zur Pose verkommt die kulturelle Heimatlosigkeit jedoch keinesfalls. In seinem Konzept der „Transexpérience“ sind kulturelle Konfrontationen immer an konkrete Erfahrungen gebunden. Diese spielen sich eben nicht nur im Austausch zwischen Asien und dem Westen ab, sondern umfassen auch die Wechselbeziehungen zwischen den so genannten Peripherien. Das Zentrum sollte, wenn es nach Chen Zhen ginge, sich irgendwann auflösen. Denn dass am gedeckten Tisch nur die wenigsten Platz finden, dürften auch die BetrachterInnen schnell merken.
Bis 21. September