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Archiv-Artikel

Die rot-grüne Koalition gibt Rauchzeichen ab

Bundesregierung will Reklameverbot für Zigaretten kippen. Weltweit 5 Millionen Tote pro Jahr durch Tabakkonsum

HELSINKI taz ■ Das Timing hat sich die Bundesregierung bestimmt nicht gewünscht: In der finnischen Hauptstadt Helsinki begann gestern die 12. Weltkonferenz über Tabak und Gesundheit. 2.000 WissenschaftlerInnen, PolitikerInnen und GesundheitsexpertInnen aus 115 Ländern geht es um den Kampf gegen den Tabakkonsum und um ein weltweites Werbeverbot. Da wurde bekannt, dass die rot-grüne Bundesregierung wegen des Tabakwerbeverbots, das in der EU ab 2005 gelten soll, eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof vorbereitet. Berlin ist der Auffassung, dass Brüssel damit seine Kompetenzen überschreitet.

Die Bundesregierung argumentiert, das Grundgesetz verbiete für Deutschland ein so umfangreiches Werbeverbot, wie die EU es umsetzen wolle. Viele EU-Mitgliedstaaten, vor allem die skandinavischen, zeigen sich zunehmend irritiert. Der rot-grünen Koalition werfen sie vor, zum Schutz der heimischen Tabakindustrie nicht nur die Reklamefrage, sondern auch die Abschaffung der Tabaksubventionen zu blockieren – zusammen mit südeuropäischen Ländern.

Laut der schwedischen Gesundheitsbehörde FHI subventioniert Brüssel 135.000 Tabakbauern zu 78 Prozent. 2001 waren dies 953 Millionen Euro. Mit der EU-Erweiterung im kommenden Jahr werden sich die Subventionen noch einmal verdoppeln. Würde man diese ganz streichen, die Tabakbauern stattdessen fürs Nichtanbauen bezahlen, könnte die EU gleich doppelt sparen: Das Tabakrauchen und seine Folgen stehen bei Männern für 12,3 und bei Frauen für 5,7 Prozent der Krankenkosten der EU-Länder. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben jährlich fast 5 Millionen Menschen an den Folgen des Tabakkonsums. Eine Zahl, die sich bis 2020 verdoppeln könne.

In Skandinavien gibt es seit Jahren Tabakwerbeverbote. Neben Aufklärungskampagnen haben sie zum Rückgang des Tabakkonsums beigetragen: Die Zahl der RaucherInnen ist in Finnland, Schweden und Norwegen auf unter ein Fünftel der erwachsenen Gesamtbevölkerung gesunken. Der Schnitt liegt in Industrieländern laut WHO bei 48 Prozent der Männer und 24 Prozent der Frauen.

Die im Mai von der WHO verabschiedete Tabakkontrollkonvention haben die EU und alle 15 Mitgliedstaaten unterzeichnet, deren Ratifikation beschlossen. Von den 192 Ländern, die insgesamt unterschrieben haben, hat sie bisher aber nur Norwegen auch ratifiziert. 40 Staaten braucht es, damit sie in Kraft tritt. REINHARD WOLFF