: Ohne Auto in die Zukunft
Im Herbst könnte mit dem Bau von Kölns erster autofreier Siedlung begonnen werden. Die Autoabstinenz wird vertraglich festgelegt
KÖLN taz ■ Sich verbindlich auf eine Zukunft ohne eigenes Auto festzulegen, ist nicht so einfach. „Muss ich ausziehen, wenn ich jetzt irgendwo einen Job kriege, wo ich nur mit dem Auto hinkomme?“ fragte eine Frau, die sich für das Wohnen in Kölns erster „autofreier Siedlung“ in Nippes interessiert. Die Antwort des Hardcore-Autogegners war eindeutig: „Wer sich für diese Art des Lebens entschieden hat, nimmt auch eine Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln in Kauf, die eine Stunde länger dauert!“
Bei der „ersten großen Infoveranstaltung“ zu diesem Projekt waren am Dienstag Abend rund hundert Menschen in die Alte Feuerwache gekommen, um sich über Preise, Ausstattung und Zeitplan zu informieren – und wohl auch, um Klarheit über die eigene Stärke, ohne Auto leben zu können, zu gewinnen. Schon im Herbst könnte der erste Spatenstich getan werden.
Wohnraum nach Wunsch
„Der Bebauungsplan ist durch alle Bürgerbeteiligungsverfahren gegangen, jetzt muss er nur noch vom Rat genehmigt werden“, erklärte Ralph Herbertz, Vorstandssprecher des Vereins „Autofreie Siedlung Köln“, der das Projekt voran treibt. In der Sitzung am 20. Juli soll die Entscheidung fallen, Herbertz rechnet fest mit der Zustimmung.
Wie die Siedlung im Detail aussehen wird, steht noch nicht fest. Gebaut wird auf dem Gelände des ehemaligen Bundesbahn-Ausbesserungswerks in Nippes, wo ein reines Wohnquartier entsteht. Für die autofreie Siedlung sind 4,2 zusammenhängende Hektar reserviert. Direkt hinter der Eisenacher Straße werden 50 Einfamilienhäuser entstehen, dazu mehrere bis zu drei Geschossen hohe Häuser – insgesamt 400 bis 500 Wohneinheiten mit viel Zwischengrün. Im Süden, zur Werkstattstraße hin, wird die „Mobilitätsstation“ liegen mit Parkplätzen für Besucher und Anlieferer und dem Car-Sharing-Angebot. Die Straßen sind Fußgängern und Radfahrern sowie motorisierter Polizei und Notdiensten vorbehalten. Den ursprünglich vorgesehenen Kindergarten wird es nicht geben, stattdessen einen im „autogerechten“ Nordteil des Areals. „Gefährliche Schadstoffbelastungen im Boden gibt es nicht“, beruhigte Herbertz, außerdem würde das Erdreich beim Bauen ausgewechselt.
Wie viele Wohnungen es werden, wie groß sie sind, wie sie ausgestattet werden, was sie kosten und ob es Miet- oder Eigentumswohnungen sein werden, „das alles hängt von der Nachfrage ab“, sagte Markus Schwertner von der Immobilienfirma Kontrola. Sie hat das Grundstück von der privaten Entwicklungsgesellschaft Nippes mit einer einjährigen Option gekauft. „Wir wollen ein einheitliches Bild, sind aber offen für alle Wünsche“, versprach Schwertner. Das gelte für die Energieversorgung und Baumaterialien ebenso wie für Besitzverhältnisse. So seien Genossenschaften ebenso denkbar wie Bauherrengemeinschaften, bei denen mehrere Parteien gemeinsam ein Haus nach ihren Wünschen bauen. Bevor das nicht klar sei, könne er auch keine „seriösen“ Preisangaben machen. Wenn etwa hundert Siedlungswillige zusammengekommen seien, werde mit dem Bau begonnen. Dann stünden bald auch Musterwohnungen bereit.
„Mobilitätsstation“
Dass bei allen Unklarheiten am Ende genug Interessenten zusammenkommen, daran hat Ralph Herbertz keine Zweifel. Allein sein Verein habe 130 Haushalte als Mitglied, 2.500 Nachfragen seien erfasst. Im übrigen gelte: „Man muss nicht Vereinsmitglied sein, aber wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“ Spätestens in vier Jahren soll die komplette Siedlung stehen.
Bleibt die Frage, wie es mit der Selbstverpflichtung ist, ohne eigenes Auto zu leben. „Das wird vertraglich zwischen den Bewohnern, Kontrola und der Stadt festgelegt“, sagte Herbertz. Die Stadt habe dem Konzept zugestimmt und bei der Genehmigung auf die sonst für jede Wohnung vorgeschriebenen Stellplätze verzichtet. Wie der Vertrag genau aussehen wird, sei noch unklar. Und ein Hintertürchen gibt es: Sollte sich die Idee, ohne Autos leben zu wohnen, nach 20 Jahren als überholt erweisen, könnten auf der „Mobilitätsstation“ Parkplätze für autogeile Bewohner entstehen. Jürgen Schön