Regisseure unter Terrorverdacht: Die 5. Spanischen Filmtage beginnen heute im 3001 : Das Interview als Kulturskandal
Das Mauerblümchendasein, das der Franco-Faschismus dem spanischen Film bis 1976 auferlegt hat, ist lange vorbei; neben Pedro Almodóvar wuchert und sprießt es kräftig: Kaum ein Land hat in den letzten Jahren einen solchen Boom der Filmbranche wie Spanien erlebt. Dabei eint die Kinolandschaft, von der wir einen kleinen Ausschnitt während der 5. Spanischen Filmtage im 3001 zu sehen bekommen, vor allem ihre Spannbreite und ihr Mut: Vom Sozialdrama über Komödien bis zum Thriller werden Genres durchgespielt und Themen in den Mittelpunkt gestellt, deren filmische Verankerung nicht selbstverständlich ist. Allein vier der ausgewählten zehn Filme streifen Homosexualität, ebenso viele befassen sich mit den Auswirkungen von Migration.
In der ersten Woche werden bereits zwei Filme gezeigt, die in Spanien für erheblichen Zündstoff sorgten. Insbesondere an La pelota vasca / Das baskische Pelota von Julio Medem entzündeten sich heftige Diskussionen. Schon vor der Uraufführung wurde Medem von der damaligen Kultursenatorin Pilar de Castillo mit dem Vorwurf attackiert, er setze in dem Dokumentarfilm die damalige Regierungspartei Partido Popular (PP) mit der baskischen Terrororganisation ETA gleich. Neben Vergleichen mit Leni Riefenstahl musste sich Medem die Aufforderung gefallen lassen, der Regierung die Gage für die Ausstrahlung seines letzten Films zurückzuzahlen. Medem war daher erleichtert, dass Das baskische Pelota bei der Erstausstrahlung in San Sebastian Standing Ovations erhielt; er habe nicht damit gerechnet, im Vorfeld derart vorverurteilt zu werden, ließ er im Anschluss vernehmen; er sei sogar verdächtigt worden, zum Terrorismus anzustiften.
Eine solche Vorverurteilung sagt viel über das politische Klima unter der Partido Popular aus, möglicherweise wenig über den Film selbst. 100 Stunden Interviewmaterial hat Medem am Schneidetisch auf 115 Minuten zusammen geschnitten, um Opfer des Terrors der ETA und baskische NationalistInnen zu Wort kommen zu lassen (bezeichnenderweise verweigerten sowohl die PP als auch die ETA jedes Interview für den Film). Auf undogmatische Weise verfolgt Medem eine Strategie, die der der PP entgegengesetzt ist. Anstelle von Schweigen, Ausgrenzung und Kriminalisierung setzt Medem auf Zuhören, Aussprechen und einander widersprechende Meinungen, die die Zuschauer zwingen, sich selbst eine Meinung zu bilden.
Ebenfalls brisant ist das Thema von El Bola / Die Kugel von Achero Manas. In diesem Spielfilm werden die Ursachen und Auswirkungen von Kindesmisshandlung erkundet. Der 12-jährige Pablo wird von seinem Vater geschlagen und schweigt, weil er keine Verbündeten hat. Erst als er Alfredo und dessen Familie kennen lernt, findet er nicht nur Hilfe, sondern auch ein anderes Familienmodell. Die realistische Darstellung von Prügelszenen machen den Film zu schwerer Kost; nichtsdestotrotz wurde er von KritikerInnen als pädagogisch wertvoll gelobt, weil er familiäre Gewalt enttabuisiere und Opfern von Misshandlungen damit möglicherweise den Mut gebe, in die Öffentlichkeit zu treten. El Bola erhielt den höchsten spanischen Filmpreis, den Goya.
Doch es gibt auch leichter verdauliche Filme im Programm. Vom armen Immigranten, der nur einen teuren Anzug am Leib hat (El traje / Der Anzug), über Paarfindungsprozesse, die Alters-, Klassen-, und Geschlechtergrenzen sprengen (Km. 0) bis hin zu sexueller Hörigkeit (Los novios búlgaros / Die bulgarischen Verlobten) reicht die thematische Spannbreite: Ein gelungenes Alternativprogramm zum Hamburger Sommer und nicht nur dann. Doro Wiese
Spanische Filmtage vom 8.–21.7. im 3001; Programm unter www.cinelatino.de