: Der registrierte Anonymus
Der Fall des Serienmörders Fourniret schockiert auch wegen Pannen in der Datenvermittlung. Politiker fordern nun ein europäisches Vorstrafenregister. Das ist immer populär, aber schlicht nutzlos
VON OTTO DIEDERICHS
Die spektakuläre Vorgeschichte ist in ihren grausigen Einzelheiten bekannt: Jahrelang hat der französische Sexualstraftäter und Serienmörder Michel Fourniret in Frankreich und Belgien Kinder und junge Frauen entführt, missbraucht und anschließend getötet. Nach möglichen Opfern wird unterdessen auch in den Niederlanden gesucht, weitere europäische Staaten überprüfen Vermisstenfälle. Wie viele Opfer es am Ende sein werden, weiß noch niemand.
Wie immer in derartigen Fällen, die starke öffentliche Emotionen freisetzen, folgt die weitere Dramaturgie einem eingeschliffenen Reflex: Die zuständigen Innen- und Justizminister rufen nach besserer Zusammenarbeit ihrer Sicherheitsbehörden, machen reihenweise Sicherheitslücken aus, die es endlich zu schließen gelte, und fordern schärfere Gesetze. Im Mittelpunkt dieser politischen Aufgeregtheit steht gegenwärtig ein europäisches Vorstrafenregister, auf das alle EU-Polizeien und -Justizbehörden Zugriff haben sollen. Eine solche Forderung ist immer populär, praktisch durchsetzbar ist sie in der EU-Kommission zurzeit wohl kaum.
Zu unterschiedlich sind die nationalen Polizei- und Strafgesetze sowie die Datenschutzregelungen. In diesem Gewirr hat sich bereits der Versuch zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Haftbefehls verfangen. Als übernationaler ministerieller Befreiungsschlag taugt die Forderung nach einer gemeinsamen Straftäterdatei aber allemal. Denn dabei geht eine entscheidende Frage unter: ob eine solche Datei überhaupt Sinn hätte.
Bereits seit Jahren gehören bei Fahndungen nach und Festnahmen von ausländischen Straftätern Anfragen bei der jeweiligen Heimatpolizei ohnehin zum polizeilichen Standardrepertoire. Genau so ist es im Fall von Fourniret auch geschehen, als dieser 1996 in Belgien wegen des Besitzes einer Pistole festgenommen wurde, die aus einem Überfall auf eine Grenzstation stammte. Von seinen bisherigen in Frankreich begangenen Straftaten erfuhren die belgischen Beamten dennoch nichts. Eine ermittlungstechnische Panne also, im Bereich technischer Katastrophen spricht man in solchen Fällen von menschlichem Versagen. Auch eine gemeinsame zentrale EU-Strafdatei könnte dies nicht grundsätzlich verhindern.
Stattdessen ergäbe sich am Ende lediglich eine riesige Datenbank mit Daten, die bei der Polizei und Justiz in den einzelnen Mitgliedsstaaten der EU ohnehin vorhanden sind. Der Zugriff der jeweiligen nationalen Sicherheitsbehörden hierauf müsste beim gegenwärtigen Stand der Dinge dann wohl über eine entsprechende Anfrage bei Europol, der gemeinsamen EU-Polizeibehörde in Den Haag, oder bei Eurojust, ihrem staatsanwaltlichen Pendant, erfolgen.
Dies am Fall des Serienmörders Fourniret einmal durchgespielt ergäbe folgendes Bild: Bei seiner Festnahme mit einer illegalen Waffe in der Tasche wendet sich die örtliche belgische Polizeidienststelle mit der Bitte um eine Überprüfung an ihr regionales Landeskriminalamt. Dieses wiederum wendet sich mit der Anfrage an das nationale Verbindungsbüro, welches sie an den belgischen Verbindungsbeamten in Den Haag weiterleitet. Nachdem der Belgier in der eigenen Computerdatei – und nur auf diese hat er Zugriff – nichts findet, geht er zu seinem französischen Kollegen ins Nebenzimmer, der daraufhin im Register seiner Heimatpolizei nachsieht. Das Ergebnis teilt er dem Belgier mit, der es über die oben genannte Kette zurückmeldet. Ob dabei ein anderes Ergebnis herausgekommen wäre als bei der direkten belgischen Nachfrage, darf zumindest als fraglich gelten.
Dies scheint auch Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) inzwischen erkannt zu haben, die sich noch vor wenigen Tagen für ein EU-einheitliches Strafregister eingesetzt hatte. „Unzweckmäßig und unglaublich teuer“, lautet jetzt ihre Devise – und die Ministerin hat Recht. Sinnvoller erscheint ihr nun eine Zusammenarbeit über einen Computerverbund, wie er ab dem nächsten Jahr zwischen Deutschland, Frankreich und Spanien gestartet werden soll. Damit sollen Nachfragen in Nachbarländern, die heute im Durchschnitt ein halbes Jahr dauern, auf einen Tag verkürzt werden. Das wäre vernünftig.
Doch wirklich durchdacht ist Zypries’ neuer Ansatz dennoch nicht, denn beim Verfahren eines direkten Drahtes sind etliche juristische Probleme zu erwarten und ein Klageverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof damit eher nur eine Frage der Zeit. Der Weg zu einem einheitliche Europa ist lang und schwierig. Daran ändern auch überhastete politische Panikreaktionen nichts. Auch angesichts der grässlichen Taten eines Michel Fourniret oder der Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus muss dieses Europa Rechtsstaatlichkeit, Bürger- und Menschenrechte beachten. Sonst lohnt sich der Weg nicht.