Das Gegenteil vom Handy-Foto

In den 1970er Jahren zogen vier junge Männer durch Amerika, um künstlerisch wertvolle Bilder in Farbe zu machen. Derzeit sind die Fotos von vier dieser Fotografen in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen. Die Bilder aus 30-Kilo-Kameras zeugen vom Staunen in einer optimistischen Zeit

„Gute Aussichten“ ist ein bundesweiter Hochschulwettbewerb für Fotografie. Aus 103 eingereichten Arbeiten von 39 deutschen Hochschulen hat die Jury neun Gewinner ausgewählt, deren Arbeiten in einer Wanderausstellung gezeigt werden. Der Jury gehört unter anderem der Kurator der Hamburger Deichtorhallen, Ingo Taubhorn, an. Bis zum 1. März ist die Wettbewerbsausstellung mit dem gleichnamigen Titel in den Deichtorhallen zu sehen. Die weiteren Stationen werden Stuttgart, Frankfurt / Main und die Hauptstadt der USA, Washington, D. C., sein. Wegen der Anlage des Wettbewerbs bietet die Ausstellung eine stilistisch breit gefächerte Zusammenschau: Das Thema Sexualität im Alter beispielsweise behandelt Katrin Trautner in Portraits. Markus Georg macht aus Postkarten-Motiven fotografische Rätsel und Florian Rexroth verhüllt für seine Bilder Straßenszenen mit Stoff. Außerdem sind Arbeiten von Laura Bielau, Maziar Moradi, Reza Nadji, Heiko Schäfer, Jürgen Staack und Sarah Strassmann zu sehen. KLI

VON KLAUS IRLER

Diese Geschichte erzählt von einer Zeit, in der Pioniere noch schwitzen mussten, um vorn mit dabei zu sein. Eine gewisse Kraft war unerlässlich, genauso wie Zeit und Neugier der Welt gegenüber. Kraft brauchten die Pioniere, weil sie künstlerische Farbfotos machen wollten, und ihre Kameras schwer wogen. Das ist heutzutage anders. Geht heute alles digital, und wer heute noch schwer hebt, ist selbst schuld.

Die Pioniere waren unterwegs in den Vereinigten Staaten der 1970er Jahre und stellten sich die Frage, warum Schwarz-Weiß in der Fotografie als noble Angelegenheit gilt, Farbe jedoch als vulgär. Weil die Farbfotografie gänzlich vereinnahmt schien von der seichten Modefotografie? Könnte sein. Aber es sind die 1970er Jahre, in Hollywood machen junge Regisseure unter dem Schlagwort „New Hollywood“ von sich Reden und auch die jungen Fotokünstler wollen alte Zöpfe abschneiden – und Farbfotos mit künstlerischem Anspruch machen.

Am Ende werden Joe Maloney, Joel Meyerowitz, Stephen Shore und Joel Sternfeld eingehen in die Fotografiegeschichte als vier Vertreter einer neuen Richtung namens „New Color“. Derzeit zeigen die Hamburger Deichtorhallen ihre Arbeiten in der Ausstellung „New Color Photography der 1970er Jahre“. Parallel dazu läuft die Ausstellung „Gute Aussichten“, die aktuelle deutsche Nachwuchsfotografen versammelt (siehe Kasten).

Was die jungen Deutschen heute tun, ist sehr unterschiedlich. Bei den vier jungen Amerikanern in den 1970er Jahren allerdings gibt es einige Gemeinsamkeiten: Sie gehen raus zum Fotografieren. Sie wollen Orte ergründen, Städte, das Land und das Meer.

Dazu benutzen sie Großformatkameras, die rund 30 Kilogramm wiegen und aussehen wie Museumsstücke aus den Anfangstagen der Fotografie. Die Großformatkameras erfordern viel Zeit in ihrer Handhabung und zwingen die Fotografen, sich sehr genau zu überlegen, welches Motiv sie warum fotografieren möchten.

Großformatkameras bedeuten ein entschleunigtes Arbeiten. Sie sind das Gegenteil von Fotohandys. Dafür sind die Bilder, die Großformatkameras machen, gestochen scharf und differenziert in ihrer Farbigkeit. Mit Großformatkameras lässt sich die Welt mit maximaler Präzision festhalten.

Stephen Shore beispielsweise reiste mit Großformatkamera umher, um „auszuloten, inwieweit eine Fotografie das zeitliche und räumliche Segment“ der amerikanischen Kultur wiedergeben könne. Oft gibt es kein Wölkchen auf seinen Bildern, dafür beispielsweise eine unendliche lange Ausfallstraße einer amerikanischen Stadt – mit Tankstellen und den frei stehenden Häusern eines Volks, das Platz hat. Oder eine Straße in Texas, ungeteert und von Stromleitungen strukturiert. Es geht in diesen Bildern um Weite: Wo sie anfängt, wie sie gestaltet ist, und welche Schönheit in ihr liegt, wenn man sie einfach nur sein lässt.

Shores Kollege Joe Maloney dagegen nutzt die Farbe, um die Wirklichkeit unwirklich erscheinen zu lassen. Ein Himmel während des Sonnenuntergangs sieht bei Maloney durch eine extrem lange Belichtungszeit heller aus, als er eigentlich ist. Es gibt Nebel auf seinen Bildern, Bewegungsunschärfen und Farbverfremdungen, und gezeigt wird doch lediglich mal ein Freizeitpark, mal ein Haus mit Erker oder ein parkendes Auto. Banaler amerikanischer Alltag, dessen Hang zum Unheimlichen auf diesen Fotos dezent sichtbar ist. Keine schöne neue Welt.

Aber eine, die seltsame Motive liefert. Da ist beispielsweise dieser Elefant, den Joel Sternfeld bei einer seiner Reisen mit dem VW-Bus auf der Straße entdeckte. Der Elefant sollte umgesiedelt werden und war dazu betäubt worden. Danach allerdings stellten die Wildhüter fest, dass er zu groß war für ihr Auto. Also mussten sie den Elefanten auf der Straße lagern. So geht die Geschichte.

Sternfeld fotografierte die Situation aus großer Distanz so, dass man den grauen Elefanten auf der grauen Straße nicht sofort sieht. Sein Bild hat erst mal kein Zentrum, dafür lauter Farbtöne, die ineinander übergehen und bei genauerer Betrachtung einen Überraschungseffekt auslösen. – Amerika, in dem das Schräge in der Größe untergeht.

Es muss dennoch eine optimistische Zeit gewesen sein, in der die New Color-Fotografen unterwegs waren. Eine Zeit, in der die Technik das Staunen über die Welt gefördert hat. So ist das jedenfalls bei den Bildern von Joel Sternfeld, Stephen Shore und Joe Maloney. Bei den Fotos des vierten Künstlers ist das etwas anders: Joel Meyerowitz hat das Meer, den Himmel und Swimming-Pools fotografiert mit dem Antrieb, die Farbe Blau zu würdigen. Das hat dann mit dem Staunen weniger zu tun. Ihm geht es ums Werben.

„New Color Photography der 1970er Jahre“. Bis 1. März in den Hamburger Deichtorhallen