: Eine Schule für die Kunst des Selberschraubens
Das Möbelhaus Ikea, mit einem Jahresumsatz von heute elf Milliarden Euro, wurde vor 60 Jahren gegründet
Der 5-jährige Ingvar Kamprad verkaufte Streichholzschachteln, als 14-Jähriger hatte er in seinem Heimatdorf einen Ruf als begnadeter Händler, bei dem man je nach Jahreszeit selbst gefangenen Fisch kaufen konnte, Weihnachtsschmuck, Heilsalbe oder Gartensamen. 1943 setzte der jetzt 77-Jährige mit dem geschätzten Privatvermögen von 20 Milliarden Euro die ersten Anzeigen in die Lokalzeitung, in denen er Bleistifte feilbot. Dafür gründete er ein Versandhandelsunternehmen: Ikea.
Der Konzern besteht aus über 200 selbstständigen Unternehmen, zählt mittlerweile 70.000 Angestellte und setzte im vergangenen Jahr über elf Milliarden Euro um. 300 Millionen Menschen besuchen jährlich die 169 Warenhäuser in 31 Ländern. Zunächst liefen Kamprads Geschäfte schleppend – bis er eine eigene Möbelfabrik kaufte. Eines der ersten Produkte, das dort hergestellt und 1953 in dem ersten, dünnen Ikea-Katalog zum Verkauf angeboten wurde, war das Bügelbrett „Melker“. Es ist – unter 12.000 anderen Produkten – auch im neuesten Ikea-Katalog zu finden. Dieser wird gerade in 46 Sprachen und mit einer Auflage von 131 Millionen Exemplaren in 36 Ländern verteilt. Er ist eines der weltweit auflagenstärksten jährlich erscheinenden Druckwerke, den in Schweden gerade die Kulturteile der Tageszeitungen ausführlich wie den letzten Mankell-Krimi rezensieren.
Den Trick mit den flachen Möbelpaketen und mit der den KundInnen aufgehalsten und oft verfluchten Mühe, mehr oder weniger gut passende Einzelteile selbst zusammenschrauben zu müssen (Frauen können dies nach Kamprads Meinung besser, während Männer oft meinten, keine Gebrauchsanweisungen lesen zu müssen), verdankt die Welt der schwedischen Möbelbranche. Diese boykottierte den Neuling wegen seiner niedrigen Preise und weigerte sich, mit ihm zusammenzuarbeiten.
Kamprad begann daraufhin mit polnischen Schreinereien Geschäfte zu machen, die ihn billig belieferten. Aber jeweils nur mit einzelnen Komponenten. Für den weltweiten Siegeszug musste danach nur noch der Ikea-Sechskantschlüssel erfunden werden.
Auch das jetzige Markenzeichen des eigenen Ikea-Designs wurde aus einer Notwendigkeit geboren und war nicht geplant. Die Konkurrenz setzte noch in den Sechzigerjahren die Lieferanten des damaligen Emporkömmlings so unter Druck, dass diese sich weigerten, für Ikea die gleichen Möbel zu produzieren wie für den Rest der Branche.
So wurden erst leicht abgeänderte Modelle hergestellt, wobei deren Form aus Kostengründen oft an den speziellen Maschinenpark des Lieferanten angepasst wurde, bevor dann eine regelrechte Designabteilung das Kommando übernahm.
Natürlich war auch das Nebengeschäft mit dem Kleinkram von Kerzen bis Blumenvasen nichts als ein Zufall. Kamprad passte es nicht, als in seinem 1965 neu eröffneten Warenhaus in Stockholm viele Leute nur durchs Haus liefen, nichts kauften, aber den Fussboden schmutzig machten. Billige Geschenkartikel und Alltagswaren wurden vor der Kassenzone aufgebaut und sollten die Putzkosten hereinholen. Jetzt sind Bilderrahmen, Glühbirnen, Trinkgläser und Co ein Standbein des Umsatzes. Ingvar Kamprads besonderes Genie war es wohl, die Möglichkeiten der Zufälle zu entdecken. REINHARD WOLFF