: Präsidier mit mir
DAS SCHLAGLOCH von FRIEDRICH KÜPPERSBUSCH
Richard von Weizsäcker, der Dissidentist – „Jetzt kann’s mal kurz wehtun“. Gegenwartsroman Herzog – „deutsche Interessen in aller Welt, notfalls auch militärisch, wahrnehmen“. Karl Weißt-du-noch-Carstens oder die Unversöhnlichkeit der bündischen Jugend mit der Love Parade – jenseits wortspielerischer Möglichkeit mit dem beidseits einsetzbaren Begriff des Wandervögelns. Unsere jüngsten Bundespräsidenten verstanden es, sich zu profilieren oder Profilierung mit sich geschehen zu lassen.
Misst man an den Kernkompetenzen „präsidieren“ und „repräsentieren“, wird Gustav „Ich liebe nicht den Staat, sondern meine Frau“ Heinemann als überzeugender Amtsinhaber, eben: „Bürgerpräsident“, genannt. Bier aus der Bügelflasche, Kassenbrille, aber letztmals auch die Bereitschaft, als Briefmarkenmotiv umzugehen. Heinemann wirkte fort – trivial in dem lindgrünen Talkshowmöbel Ranke-Heinemann; verhängnisvoll in der Projektion seines angeheirateten Verwandten Johannes Rau; eher wenig in dem Umstand, mit CDU, GDP und SPD hintereinander drei Parteien angehört zu haben. Am stärksten hingegen in dem seiner Wahl gewidmeten Begriff „ein Stück Machtwechsel“.
Etwas sehr dominant war Heinemann übrigens auch darin, seinen FDP-Nachfolger Walter „Hoch auf das gelbe Wagen“ Scheel vergessen zu machen. Scheel versöhnte spießigen Gesangverein und TV-Show, gab ein frühes Rollenmodell für einen Mann, der neben seiner starken Frau keine Sinnkrise bekommt, und ließ es sich, darin doch wohl nicht so unrepräsentativ, einfach geradeaus gut gehen. Als Bonustrack der küssenswerte Satz: „Meine Tochter liebt Frauen, na und? Das tue ich schließlich auch.“ Scheels anhaltende Unterbewertung deutet darauf hin, dass ein Präsident offenbar nicht die real existierende Bequemokratie darzustellen hat, sondern die deutsche Sehnsucht nach ’m strengen Sozialkundelehrer.
Konrad Adenauer ließ vernehmlich ausloten, ob sich nicht doch Machtbefugnisse gelinde Hindenburg’schen Umfangs in das Spitzenamt zurückschmuggeln ließen. Das wäre der Abgang seiner Wahl gewesen. Die junge Verfassung hielt ihrem höchstrangigen Feind stand; und seither blieb das Bundespräsidialamt unangefochten das, was die leidgeprüften Verfassungseltern wollten: ein demokratisches Notariat mit Profilierungsmöglichkeiten in Tapetenwahl und Möblierung. Die Besetzungen – Weizsäcker als moralischer Gegenkanzler; Herzog mit Ruck ’n’ Roll für Besserverdienende, Scheel als Wohllebemann in der Sozirepublik etwa – scheinen im guten Sinne das, was der Trainer „wertvolle Ergänzungsspieler“ nennt. So richtig geschadet hat keiner; das Konzept „Resozialisierung im Amt“ war mit dem NS-Funktionär Kiesinger als Kanzler umgesetzt, eines Carstens hätte es nicht mehr bedurft.
Genutzt hingegen haben sie alle, mindestens darin, wenig Raum zu lassen für monarchistische, autoritäre oder sonstwie überkommene Konzepte. Der geringe Einfluss des höchsten Staatsamtes – dieser Widerspruch in sich hat es immerhin zur ungefragten stehenden Wendung bringen können – hält nur leise, gelegentlich zitternd, Balance mit dem geringen öffentlichen Interesse an Kandidatenauswahl und Amtsführung. Oft fanden Zähl- und Trotzkandidaturen eheste Beachtung, mit einem Kübel voller Böcks nahmen Präsidialwahlkämpfe die Marketing-Methoden anderer, ebenfalls unwichtiger Wahlen vorweg. „Bringt ihr euren Weizsäcker, bringen wir unseren!“ zum Beispiel; „unsere hat’n lustigen Namen. „Schipanski“ oder „wir haben auch noch jemanden, der irgendwie mit Heinemann verwandt ist“.
Auch die Idee der Promi-Jury – verdiente Sportler, bedeutende Künstler oder sonstwie Klatschzeilen verheißendes Stimmpersonal – ist bei „Deutschland sucht nicht so richtig, findet dafür aber auch keinen Superpräsidenten“ längst vorexerziert.
Da der Präsident keine zwei Stühle hat, zwischen denen es sich etwa Hildegard Hamm-Brücher hätte gemütlich machen können, ist ihr 1994 vielleicht sogar mehr erspart worden als uns – das zitierte „Stück Machtwechsel“ nämlich. Mit diesem Signal im Vorfeld hätte Scharpings Kanzlerkandidatur Aufwind bekommen nach dem Heinemann-Modell. Es darf gerüchtelt werden, warum die SPD finster entschlossen mit Rau in die Niederlage marschierte, statt Kinkel zu zwingen, an seiner eigenen Kandidatin festzuhalten.
Damit sind alle Faktoren benannt, die in die neue Runde führen: Rau, der Machtwechsel, der Charakter des Wahlkampfes als Feuilletonsportart und die politischen Spielchen und Kalküle. Bundespräsident Johannes Rau hat Bushs kriegerische Berufung auf die Bibel klar ein „grandioses Missverständnis“ gescholten; er hat die Kindertheaterposse um das Zuwanderungsgesetz im Bundesrat mit würdigem Notarsgebaren bewältigt. Als Präsident unter einem Kanzler, der selbst eher schlagzeilenhaft denkt und lenkt, blieb ihm wenig Kontrapunktisches zu sagen – sich widersprechen kann Schröder ganz alleine. Mehr mag man in einigen Jahren urteilen; jetzt dominiert halt doch das Bild vom Landesvater, bei dessen Sommerfest es regnet.
Lediglich der Ingrimm, mit dem Rau 94 einer politischen Vorwärtslösung im Wege stand, mit dem er jetzt erneut einem würdigen Abschied die Trickserei vorzieht, kann nicht bemildet werden. Die rechnerische Mehrheit in der Bundesversammlung wird, das steht bereits fest, jenseits von Rot-Grün sein. Wollte wer das „Stück Machtwechsel“ verhindern, bräuchte er mehr als einen Rau, nämlich ein Wunder. Die nicht witzig gemeinte Kandidatur einer Frau steht aus; kein Ostdeutscher amtierte bisher; wohingegen die Bayern sich mit dem Exil-CSUler Herzog trösten konnten. Weiter mag man nicht denken, denn, quod erat demonstrandum – Stoiber oder Koch den Weg ins Kanzleramt freizuschießen, dafür wäre die hochinteressante Präsidentschaftskandidatur Merkel kein ausreichender Trost. Immerhin könnte die SPD also mit einer Kandidatur Simonis’ – als Pionierin in Kerlsdomänen ausgewiesen – den anderen ein nennenswertes Problem machen.
Na immerhin – verführerisch isses ja doch, ein bisschen mit zu spekulieren, wer mit wem warum unter Erpressung wessen um welcher Inhalte wegen und bäh. Die grundgesunde Wurschtigkeit, mit der sich vom Liegestuhl aus der Kampf um die Pole Position des Staates aus bedämmern lässt, ist eines der hübschesten Komplimente, das man diesem Land machen kann. Es irrlichert, zugegeben, auch: Im Land sank das Interesse an der Wahl zu exekutiven Ämtern so dramatisch, dass man die ganze Mumpfigkeit zur Wahl Repräsentativer nur noch beiläufig zur Kenntnis nimmt. Aber eine „Starke-Mann-Debatte“ scheint mit diesen Deutschen derzeit, allen üblen Umständen zum Trotz, nicht machbar zu sein. Das passive Wahlrecht zum Bundespräsidenten beginnt mit 40, es ist kein Kanzler in Sicht, der nicht einen Ätschkollegen gebrauchen könnte. Vielleicht gelingt diesmal was. Fordern wir mal eine junge Repräsentantin der Millionen nicht blutsdeutschen Bürger, vielleicht reicht es dann für ’ne ostdeutsche Frau.