: An den toten Gleisen von Bobo
Dem Bürgerkrieg in der Elfenbeinküste fiel auch Burkina Fasos Wirtschaftsader zum Opfer: die Eisenbahnlinie nach Abidjan. Damit wurde eines der ärmsten Länder der Welt vom Außenhandel abgeschnitten. Jetzt hofft Burkina auf die Öffnung der Grenze
aus Bobo Dioulasso BAGASSI KOURA
Am Bahnhof von Bobo Dioulasso sind nur noch wenige Eisenbahner beschäftigt. Gras wuchert auf den Gleisen, Waggons und Lokomotiven rosten vor sich hin, in der Bahnhofshalle herrscht Grabesstille. Seit 1936, als hier der erste Zug ankam, ruhte der Verkehr noch nie so lange wie jetzt.
Früher war dies der zentrale Handelsumschlagplatz von Burkina Faso. Hier luden die Züge aus der Elfenbeinküste Importgüter ab und brachten Burkinas Exportwaren auf dem umgekehrten Weg in den ivorischen Hafen Abidjan. Doch am 7. November 2002 rollte der letzte Zug. Dann schloss Burkina Faso seine Grenze zur Elfenbeinküste, weil die dortige Regierung behauptet hatte, Burkina Faso würde die Rebellen unterstützen, die seit September 2002 die an Burkina angrenzende Nordhälfte des Nachbarlandes unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Die komplette, 1.145 Kilometer lange Bahnlinie zwischen Abidjan an der Küste und Ouagadougou im Sahel, eines der Herzstücke des westafrikanischen Transportwesens, ist seitdem stillgelegt, die gemeinsame Betreiberfirma Sitarail (Société Internationale de Transports par Rail) hat ihre Aktivitäten suspendiert.
„Für den Westen Burkinas war Abidjan der natürliche Hafen“, sagt Lazare Soré, Vizepräsident der Handelskammer von Burkina Faso. In der Region um Bobo Dioulasso sind die meisten Industrien des Landes und die meisten Händler konzentriert. Die Bahnlinie war der Hauptverkehrsweg nicht nur für Burkinas Im- und Exporte, sondern auch für die drei bis vier Millionen burkinischen Auswanderer auf den Plantagen der Elfenbeinküste. Heute müssen sich Burkinas Händler auf andere Länder ausrichten, nach Togo, Ghana, Benin. Von Bobo Dioulasso nach Abidjan sind es nur 800 Kilometer – die Häfen der drei Nachbarländer sind bis zu 1.900 Kilometer weit weg.
Die Baumwollernte von 400.000 Tonnen im vergangenen Jahr wartet nun auf den Export – über Ghana per Lastwagen statt in die Elfenbeinküste per Bahn zu exportieren, kostet rund 150 Euro pro Lastwagen mehr, sagt die Direktion der staatlichen Textilbetriebe Sofitex in Bobo Dioulasso. Auch Saatgut und Pestizide, die aus der Elfenbeinküste kommen, werden teurer. Jenseits der Grenze in der Elfenbeinküste mussten zwei Zuckerfirmen schließen, die Rohzucker aus Burkina verarbeiteten; umgekehrt haben in Burkina Faso Getreidemühlen dichtgemacht, die ivorische Körner verarbeiteten.
Burkina Fasos größte Transportfirma des Landes SNTB (Société Nationale de Transit du Burkina) hat einen Umsatzeinbruch von 40 Prozent erlitten. Zement ist knapp geworden – 300.000 Tonnen davon, eigentlich burkinisches Eigentum, liegen im Hafen von Abidjan.
Für Abidjan, Wirtschaftsmetropole des frankophonen Westafrika, ist all das ebenfalls ein schwerer Schlag. Der Hafen am Sitz der Regierung des ivorischen Präsidenten Laurent Gbagbo hatte noch im Jahr 2000 einen Jahresumschlag von 15 Millionen Tonnen – mehr als seine drei regionalen Konkurrenten zusammengenommen: Tema (Ghana) mit 6,8 Millionen, Lomé (Togo) mit 2,8 und Cotonou (Benin) mit 3. Und er war der einzige Hafen mit einer Eisenbahnlinie. Nun aber hat er sein Hinterland verloren.
Nicht, dass es keine Versuche gegeben hätte, die Bahnlinie wieder zu eröffnen. Schließlich wäre das ein Symbol des Friedensprozesses in der Elfenbeinküste, der im Januar mit einem Friedensabkommen zwischen Regierung und Rebellen begann und im April mit der Bildung einer gemeinsamen Regierung fortgesetzt wurde. Am 22. Mai fuhr aus Abidjan der erste Zug wieder nach Bouaké, Hauptstadt des Rebellengebiets in der Nordhälfte der Elfenbeinküste. Zwei Zugverbindungen täglich gibt es nun zwischen Nord und Süd, eskortiert von der französisch-afrikanischen Friedenstruppe. Aber die Grenze nach Burkina Faso überschreiten sie nicht.
„Wir sind bereit“, sagt Bahnhofsvorsteher Augustin Baki in Bobo Dioulasso. „Sie müssen nur noch die Grenze aufmachen.“ Das könnte nächste Woche geschehen: Ende Juli vereinbarte Burkinas Landwirtschaftsminister Salif Diallo bei einem Besuch in Abidjan die Wiederöffnung der Grenze für den 12. August. Aber ob das wirklich geschieht, ist noch unklar.
In Burkina ist die Sehnsucht jedenfalls groß. War am Anfang des ivorischen Bürgerkrieges noch eine Welle des Patriotismus in Burkina Faso zu spüren, genährt durch die Übergriffe gegen burkinische Staatsbürger in der Elfenbeinküste, hat der Alltag nun die Gemüter eingeholt. Die Beziehungen zum mächtigen Nachbarn werden nie mehr so sein wie früher, das weiß jeder – aber es muss Beziehungen geben. Ivorische „Zouglou“-Musik, oft Produkt des Krieges, ist inzwischen der Renner in Burkinas Bars. Und Mali hat seine Grenze zur Elfenbeinküste schließlich auch wieder aufgemacht.