: Partner gegen Überforderung
Das Kölner Projekt TANDEM entlastet die Angehörigen altersverwirrter Menschen. Ehrenamtliche Helfer nehmen ihnen stundenweise die Pflege des Demenzkranken ab, damit sie neue Kraft schöpfen
Von Nicole Klemp
Das Wort „Tandem“ legt gemeinschaftliches Strampeln und Verschnaufpausen für den Einzelnen nahe. „Genau diese Assoziationen wollten wir mit unserem Projektnamen wecken“, sagt Markus Schmelzer, Koordinator des Projekts „TANDEM – Häusliche Unterstützung für Angehörige von Menschen mit Demenz“ der Diakonie in Köln. „Angehörige demenziell Erkrankter sollen einen TANDEM-Partner bekommen, der hin und wieder für sie strampelt, damit sie durchatmen und Kraft schöpfen können für die Beanspruchung in der täglichen Betreuung und Pflege.“
Vor zweieinhalb Jahren startete die gemeinnützige Gesellschaft das Projekt. Es schult ehrenamtliche Kräfte, die es an Angehörige von Menschen vermittelt, die an Hirnleistungsstörungen erkrankt sind, damit ihnen wenigstens stundenweise etwas Freiraum und mehr Lebensqualität bleibt.
„Ich würde gerne mal wieder ein Museum besuchen oder spazieren gehen“, sagt etwa Martha Letzinger, die seit drei Jahren ihren an Demenz erkrankten Ehemann pflegt. „Ich würde mich gerne mal zwischendurch etwas hinlegen oder in Ruhe einen Kaffee trinken“, sagt Sybille Bacher, die ihre altersverwirrte Mutter betreut. So sehen laut Schmelzer die Wünsche der meisten pflegenden Angehörigen aus. „Sie entwickeln diese Wünsche, weil ihr Alltag sie nicht mehr zulässt“, erklärt Schmelzer. Die Pflege demenziell erkrankter Partner oder Elternteile ist häufig ein Full-Time-Job, der einem kaum noch Zeit für sich selbst lässt. „Einkaufen oder andere außerhäusliche Erledigungen werden unmöglich“, sagt Bacher, „weil man den Erkrankten nicht ohne Sorgen alleine lassen kann.“
Die Beschreibung solch stiller Überforderung ist laut Schmelzer nichts Neues, und dennoch erreichten die Leistungen der Pflegeversicherung und der Hilfs- und Beratungsangebote die Betroffenen nicht flächendeckend. Nach einer Studie des Diözesan-Caritasverbandes des Erzbistums Köln sind in Deutschland bis zu 1,2 Millionen Menschen von einer Demenz betroffen und zu einer selbständigen Lebensführung nicht mehr in der Lage. Allein in Köln gebe es rund 14.000 Erkrankte (siehe Kasten). Die Zahlen blieben relativ unbeachtet – genau so wie der Alltag der Angehörigen.
Gerade angesichts aktueller staatlicher Defizite und Sparmaßnahmen auch im Gesundheitswesen scheint es jedoch unrealistisch, weiter auf einen Ausbau des vergleichsweise wenig entwickelten Hilfssystems zu drängen. Alternative Angebote wie „TANDEM“ setzen hier an. Sie geben mehr Informationen über die Krankheit und ihren Verlauf und bieten professionelle Unterstützung und Entlastung durch geschulte Helfer und Gesprächsgruppen. „Die Helfer müssen einfühlsam und vertrauenswürdig sein“, sagt Schmelzer. „Und sie müssen bezahlbar sein.“
Diesen Anforderungen an ein niedrigschwelliges Angebot versucht „TANDEM“ gerecht zu werden. Lediglich eine Aufwandsentschädigung von 7,50 Euro pro Stunde müssen die Angehörigen an die Helfer zahlen. Die Leistung kann im Sinne des Pflegeleistungsergänzungsgesetzes anerkannt werden. Die Helfer treffen sich monatlich zum Austausch, erhalten Supervision und nehmen zuvor an einem 30-stündigen Lehrgang teil. Dabei geht es nicht nur darum, wie man den Kranken wäscht oder anzieht, sondern auch um Erlebnisse der Helfer mit den Erkrankten, die verarbeitet sein wollen.
Über diese Veranstaltungen hinaus steht Schulungsleiter Markus Schmelzer jederzeit für solche Anliegen zur Verfügung. Er betreut die Helfer und die Angehörigen auf ihrem gemeinsamen Weg. In den letzten zwei Jahren konnten rund 50 „TANDEM“-Partnerschaften geschlossen werden. Derzeit sind 22 Helferinnen und Helfer zwischen 21 und 72 Jahren aus den unterschiedlichsten Berufen im Einsatz. 20 weitere Helfer haben sich bereits vormerken lassen und warten auf ihre Schulung. Die ist jedoch abhängig von der zukünftigen Finanzierung des Projekts, da Ende dieses Jahres die dreijährige Förderung durch das Ministerium des Landes NRW ausläuft. Dann muss „TANDEM“ die benötigten Gelder selbst einfahren.
365 Paten sucht die Gesellschaft hierfür in Köln. Sie sollen für jeweils einen Jahrestag des Projekts mit einer Spende von 100 Euro eine Patenschaft übernehmen. „Damit noch mehr Betroffene wie ich mal wieder ohne Sorgen und in aller Ruhe etwas Zeit für sich finden“, sagt Martha Letzinger, „und sich wie ein normaler Mensch fühlen können.“