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: Die nackte Angst vor kleinen Tieren

Vorgestern Nacht gegen halb drei wurde ich bei der Lektüre meines komischen Autistenkrimis durch einen ungefähr drei Zentimeter langen, massigen Käfer gestört, der ganz ruhig und offenkundig sehr selbstsicher von der einen Seite meines Schlafzimmers zur anderen schlenderte, und dabei seine Flügel lässig hinter sich her schleifte. Er schien sich überhaupt keine Sorgen darum zu machen, dass ich ihn vielleicht entdecken könnte, und damit hatte er auch fast Recht: Ich lese normalerweise ohne Brille oder Kontaktlinsen, um meine alten Augen zumindest noch ein bisschen zu fordern, und wenn ich mich nicht zufällig in Richtung Uhr gebeugt hätte, dann wäre der Käfer für mich wohl nur ein verschwommenes Etwas geblieben, das genauso gut eine Staubmaus hätte sein können.

So erschreckte ich mich also rechtschaffen, doch um die Nachbarn nicht zu stören, übte ich das leise Schreien. Das geht so, dass man nach innen statt nach außen schreit, und klingt ziemlich verzweifelt. Aber außer dem Käfer hörte es ja keiner.

Es ist ohnehin albern, zu schreien, wenn man einen fremden Käfer sieht. Was soll der einem schon tun? Die Fresse polieren? Den Laptop entwenden? Trotzdem erinnere ich mich noch gut an die Heiserkeit in der Stimme einer Freundin, die mir von ihrem erschreckenden morgendlichen Käfererlebnis berichtete: Ich dachte, das unter dem Brötchen sei ein Krümel, und plötzlich lief der weg ... Mein bester Freund, dieser merkwürdige Mensch, behauptet dagegen, er habe vor überhaupt keinem Tier Angst, dass kleiner sei als er. Aber vor einer sanften Kuh haust du ab, oder wie, fragte ich ihn darum einmal recht provokant. Ja, sagte mein bester Freund, da weiß man schließlich nie, ob die nicht genmanipuliert ist.

Ich schäme mich jedenfalls nicht dafür, vor Tieren Angst zu haben, die kleiner sind als ich. Sogar vor toten. In einer meiner Stammkneipen, ich möchte lieber nicht sagen, in welcher, kam neulich eine Besucherin kalkweiß im Gesicht von der Toilette und musste sich erst einmal zehn Minuten an ihrer Freundin festkrallen, bis sie sagen konnte, was sie gesehen hatte: Im Damenklo schwamm eine tote Ratte. Das war allerdings das einzige Mal, dass ich ein Damenklo danach noch unappetitlicher fand als ein Herrenklo.

Und irgendwie, sage ich mir seitdem stets, wenn ich in jener Kneipe stehe und literweise Bier schlucke mit der Option, irgendwann noch mal die Toilette aufsuchen zu müssen, ist das schließlich auch eine Art Rock ’n’ Roll. Oder das, was Rock ’n’ Roll mal war. JENNI ZYLKA