: Nichts als die nackte Wahrheit
In 25 Jahren taz-Geschichte gab es zwei Pornostreiks. Zwei Augenzeugen erinnern sich
Mehrere deutsche (Ex-)Ministerinnen haben ihre Karriere den tanzenden Nippeln barbusiger taz-Frauen zu verdanken. Ja, das ist die nackte historische Wahrheit und nichts als die Wahrheit.
Und das kam so: Im November 1980 stand die taz mal wieder kurz vor der Pleite, und das Chaos tobte. Unter dem Pseudonym Gernot Gailer beschrieb ein freier Mitarbeiter auf einer Magazinseite seine Tagträume von der sexuellen Unterwerfung diverser Damen. Als Protest unter taz-Frauen zu grollen begann, setzte Leserbriefredakteur Alexander noch eins drauf und veröffentlichte einen Comic auf seiner Seite, auf dem spärlich bekleidete Frauen auf Folterbänke gestreckt wurden. Kollektiv traten wir taz-Frauen in den Streik. Eine Woche lang.
Die Redaktion konnte das halbwegs wegstecken, zählte dort das weibliche Geschlecht doch von Anbeginn zu einer eher seltenen Spezies, und die männliche Mehrheit war geradezu erdrückend. Hart aber war es für die Produktion, denn vor allem in der Setzerei tippten normalerweise nur Damen, sieht man von Georg, dem Ur-Säzzer, mal ab. Und auch im Layout, in der Fotoredaktion, in der Reproabteilung, im Vertrieb saß vorwiegend Weibliches.
Während also die männlichen tazler auf den Brustwarzen zu krauchen begannen, machten wir es uns eine Woche lang in der Wohnung von Frauenredakteurin Gitti Hentschel gemütlich. Und diskutierten unsere Forderungen: Erstens 52 Prozent aller Stellen für Frauen. Zweitens Einführung einer Art Chefredaktion und klarer Kompetenzen für alle MitarbeiterInnen statt wilder Plenardemokratie. Drittens ein Vetorecht der Frauen bei allen Texten und Bildern, die die weibliche Sexualität darstellten. „Die werden uns Prüderie vorwerfen“, befürchteten einige. „Dann werden wir ihnen das Gegenteil bewiesen“, antwortete Inlandsredakteurin Brigitte Heinrich.
Am folgenden Samstag stellten wir dem Plenum unsere Forderungen vor. Bis dato war das Mitarbeiterplenum das oberste Organ der tazokratie, alle Entscheidungen mussten über den im taz-Haus abgestellten langen Tisch der Kommune 1 gehen. Wir sahen in abgearbeitete Männergesichter, wir fühlten eisige Ablehnung. Es dauerte nur ein paar Minuten, dann wagte Anzeigenakquisiteur Michael den Provo-Spruch: „Ihr seid doch nur prüde!“ Wie vereinbart zogen wir Pullover und Blusen aus und ließen unsere wunderbar geformten Brüste hüpfen. Verblüffung. Ein erstes zartes Kichern durchbrach das Schweigen, dann überall Grinsen, Lachen, Prusten. Redakteur Thomas Hartmann verschwand kurz, kehrte wieder, klappte seinen Fellmantel auf und entblößte zartes Rosa um die Lenden. Gegröle.
Alle hatten sich wieder lieb, und die erste Frauenquote in der Bundesrepublik ward durchgesetzt. Die Grünen, fast zur selben Zeit gegründet wie die taz, übernahmen sie ganz schnell, bei der SPD und der Bundesregierung dauerte es etwas länger. UTE SCHEUB
Meiner Erinnerung nach hatte der zweite Pornostreik der taz-Frauen anno 1988 folgenden Hintergrund und Verlauf: Für die „letzte Seite“ der Berlin-taz hatten wir mehrere Artikel zum Thema Pornografie geplant, die ich dann als verantwortlicher Redakteur dieses regionalen Vorläufers der „Wahrheit“-Seite anleierte. Als ich alles zusammenhatte – an Text und Bild –, musste diese „Pornoseite“ jedoch mehrmals verschoben werden, bis sie dann – ausgerechnet am Internationalen Frauentag – endlich erschien. Bis dahin hatten die Redakteurinnen der Frauenseite zu diesem Tag sich stets etwas Üppiges einfallen lassen, diesmal jedoch so gut wie nichts, und so war die Pornoseite zu dem Zeitpunkt geradezu höhnisch.
Aber die taz-Frauen nutzten sie dennoch, indem sie deswegen sogleich einen Streik anzettelten. Die Berlinredakteurinnen und Berlinkulturredakteurinnen erklärten sich für diese unglücklich getimte Seite mitverantwortlich, und die streikenden Frauen der anderen Redaktionen versicherten mir daraufhin, ihre Aktionen seien nicht gegen mich gerichtet. Das erboste insbesondere Arno Widmann, weil die Streikenden damit zeigten, dass ihre Empörung geheuchelt war – um der taz-PR willen.
Ich freute mich jedoch, nicht von den Kämpferinnen persönlich angegriffen zu werden. Desungeachtet brauchten sie eine Streikforderung, die beschlossen werden konnte. Weil Sabine Vogel und ich lange geplant in der darauf folgenden Woche einen einwöchigen Urlaub in einer Pension an der Nordsee antreten wollten, um ein SFB-Feature über morphische Resonanz zu schreiben, beschloss der Frauenstreikrat, mich einfach kurzerhand in „Zwangsurlaub“ dorthin zu schicken – und den Pornoseiten-Autor Wiglaf Droste gleich mit. Gesagt – getan.
So gingen wir alle – miteinander zufrieden – auseinander. Später wurde noch eine Expertise von Elfriede Jelinek eingeholt, die darin meinte, die Pornoseite sei Scheiße gewesen – ihr Text wurde dann als eine Art abschließendes Kommuniqué zu der ganzen taz-PorNo-Aktion veröffentlicht. HELMUT HÖGE
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