: Die Industrie heizt das Klima an
Bundesverband der Deutschen Industrie kritisiert das Tempo bei der Erarbeitung des Emissionshandelsgesetzes. Zentrale Fragen seien ungeklärt. Das Bundesumweltministerium halte Informationen zurück und gefährde damit den Zeitplan
aus Berlin NICK REIMER
Ludolf von Wartenberg macht kein Hehl daraus: „Wir wollen mit diesem Gutachten den Druck auf die Politik erhöhen“, sagte der Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) gestern. Verfasst hat es das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI). Und nach Studium ist dem Auftragsgeber BDI vor allem eines klar: Nichts ist klar.
Um den Ausstoß von Treibhausgasen wie Kohlendioxid kosteneffizient zu senken, will die EU Verbrennungsanlagen mit einer Feuerleistung über 20 Megawatt zum Zertifikatshandel im Jahr 2005 verpflichten. Deutschland hat bis 31. März nächsten Jahres Zeit, diese EU-Richtlinie umzusetzen. Und obwohl das Gesetz noch 2003 verabschiedet werden soll, gebe es aus dem Hause von Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) „überhaupt nichts Klares“, so von Wartenberg. „Die Wirtschaft ist sehr verunsichert.“
Das Prinzip ist so angedacht: Man nehme die Menge Kohlendioxid, die Deutschland 2010 nach dem Kioto-Protokoll ausstoßen darf: 967 Millionen Tonnen. Dann ziehe man davon ab, was die Sektoren Verkehr und Haushalte zur Reduktion beitragen müssen. Bleiben nach RWI-Szenario 498 Millionen Tonnen für Industrie und Energiewirtschaft – dafür gibt es 498 Millionen Zertifikate. Diese werden unter etwa 5.000 Anlagenbetreibern verteilt. Wer seine Anlagen sauberer macht, kann die freien Zertifikate verkaufen.
Was aber, wenn es doch wieder zu einer starken Konjunktur kommt – etwa durch die EU-Osterweiterung? Für den BDI-Geschäftsführer keine Frage: „Mehr Produktion heißt mehr Energieverbrauch, heißt mehr CO2-Ausstoß.“ Das geht aber nicht, weil die Zertifikate dafür fehlen. Ergo bedrohe der Zertifikathandel die Konjunktur. RWI-Experte Bernhard Hillebrand untermauert dies mit Zahlen: „Wenn ungünstige Witterungsbedingungen mit einem wachsenden Welthandel zusammenfallen, könnten in Deutschland 170 Millionen Tonnen Kohlendioxid mehr ausgestoßen werden als erlaubt.“ Nach diesem Schlimmsten-Fall-Szenario würde die Bundesrepublik am Ende nur 14 Prozent gegenüber 1990 gemindert haben.
Angesichts dieser Unsicherheiten rät das RWI der Politik, flexible Instrumente ins System einzubauen. „Das Kioto-Protokoll bietet mit Clean Development die Möglichkeit dazu“, so Hillenbrand. Der Staat könne etwa Zertifikate für 100 Millionen Tonnen CO2 aufkaufen und bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau hinterlegen. Diese stünden im Fall eines Booms zur Verfügung, könnten aber auch mit anderen Ländern gehandelt werden – was den Unternehmen nur bis zu 6 Prozent erlaubt sein soll.
Laut von Wartenberg sind sich Wirtschafts- und Umweltministerium uneins und verweigen den Dialog: „Das federführende Umweltministerium enthält den Unternehmen entscheidende Daten zur Ausgestaltung vor, die sie zur Planung brauchen.“ BDI-Energieexperte Joachim Hein warnte deshalb vor einer Klageflut betroffener Firmen.
Das Umweltministerium gab gestern den Ball zurück. „Wir haben letzten Dezember mit der Umsetzung der Richtlinie begonnen“, sagte Sprecher Jürgen Maaß. Der BDI wolle nur von seinen eigenen Problemen ablenken. „Es ist doch klar, dass es Verlierer und Gewinner geben wird. Dazwischen sitzt der BDI.“
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