: Irritation und Berührung
Pathosfreie Erzählungen vom Glück und Schmerz der Nähe, von Verletzlichkeit und Macht, von Autonomie und Abhängigkeit: Das Kunstmuseum in Bonn zeigt die erste umfassende Ausstellung der in Beirut geborenen Installationskünstlerin Mona Hatoum
VON MAGDALENA KRÖNER
„Homebound“ hieß die Arbeit, die die Künstlerin Mona Hatoum im Rahmen der Documenta 11 vor zwei Jahren erstmals einem breiteren Publikum hierzulande bekannt machte. Ein zwischen gespannten Drähten einsehbares, seltsam möbliertes Zimmer voller Haushaltsgegenstände tut sich vor dem Auge des Betrachters auf; regelmäßig aufglimmend durch einen unregelmäßig hindurchfließenden Stromstoß. Das Zimmer ist Zelle und Heimstatt zugleich, bis in den letzten Winkel einsehbar und doch unzugänglich. Möbliert, doch unbewohnbar. Sein Mobiliar, ein Bett, Stühle, ein Tisch, bewegt sich eben noch im Rahmen des Vertrauten und bleibt doch fremd. Von Kabeln umflochten sind die Stühle, aus rohem Eisen das Bett, belegt von Werkzeugen und Haushaltsgeräten der Tisch.
Die Fähigkeit, eine brisante Doppeldeutigkeit in ein simples Bild zu bannen, macht die Kunst Mona Hatoums aus. Das Doppelte einer vom doppelten Exil geprägten, zwischen zwei Ländern sich verortenden Existenz, in deren gelebtem Leben immer auch die Abwesenheit einer anderen Lebensform aufscheint, prägt die Arbeit Mona Hatoums, ohne allein biografistisch zu sein.
Die 1952 als Tochter palästinensischer Eltern im Libanon geborene Hatoum weilt in London, als 1975 der libanesische Bürgerkrieg ausbricht. Die Rückreise unmöglich, richtet sich die Künstlerin im Exil ein – eine grundlegende, prägende Erfahrung, die in einem geschärften Bewusstsein für politisches Unrecht resultiert. So sind es in den ersten Jahren Themen wie Bürgerkrieg, Vertreibung, Exilantentum, die Hatoum in oft drastischen Performances umsetzt.
Von Anfang an setzt sie in ihrer Body-Art, darin der feministisch bewegten, künstlerischen Praxis der Zeit folgend, den eigenen Körper als Material ein. 1982 kämpft Hatoum in der Arbeit „Under Siege“ in einem transparenten Bassin voller Schlamm sieben Stunden lang um Halt, rutscht dabei jedoch immer wieder aus und fällt. 1983 legt Hatoum sich für die Arbeit „Negotiating Table“, den Körper mit Innereien und Blut bedeckt, gefesselt und ganz in Plastikfolie verpackt, vor Publikum auf einen Tisch; im Hintergrund laufen dazu Politikerreden vom Tonband. 1984 kriecht sie auf der Terrasse eines voll besetzten Restaurants über den Boden, den Körper wie ein Verbrennungsopfer präpariert. Hatoums politische Performancekunst will Zumutung und Provokation sein –und bleibt doch in gewisser Hinsicht eindimensional, auf den Protest beschränkt.
Der Schritt zur nachhaltigeren Verstörung, der Hatoum auch den internationalen Durchbruch brachte, kommt mit der Hinwendung zur Skulptur im Jahr 1989 mit der Arbeit „The Light at the End“. In der Ecke eines Raumes installiert Hatoum einen Eisenrahmen mit sechs parallel eingespannten Heizdrähten, der in der Ferne wie eine erhabene, minimalistische Lichtskulptur wirkt, sich aus der Nähe aber als bedrohliches Objekt erweist, welches mit Folter, Schmerz und Verbrennung verbunden ist.
Als Installationskünstlerin und Bildhauerin fand die Künstlerin von Anfang an die dichtesten und stärksten Bilder, und auch die Bonner Station ihrer ersten Retrospektive räumt der skulpturalen und installativen Arbeit breiten Raum ein.
Hatoums Rauminstallationen verdichten Ambivalenz und Schönheit auf nachhaltige Weise: „Marbles Carpet“ ist ein schimmernder Teppich aus transparenten Glaskugeln, nur gehalten von einer umlaufenden, dünnen Nylonschnur. Die Installation „Light Sentence“ (1992), die neben „Homebound“ zu ihren bekanntesten Arbeiten zählt, verwandelt einen ganzen Raum in ein Szenario dumpfer Bedrohung, die zugleich von betörender Schönheit ist. Eine Ansammlung von Drahtkäfigen ist zu einem u-förmigen Regal gestapelt wie in einer Legebatterie, beschienen nur von einer langsam sich hebenden und senkenden Glühbirne, die die Umrisse der Gitterstruktur immer wieder wie wahnhaft verzerrte Schatten aufbläht und schrumpfen lässt.
Hatoums Objekte und Installationen sind in ihrer gekonnten, präzisen Wahl von Material und perfekt ausgeführten Form ebenso von der konzentrierten Strenge des Minimal als auch vom objektbezogenen Humor des Readymade inspiriert. So zeigt sich ihr Gefühl für skulpturale Eingriffe untrennbar mit einem Sinn für Poesie verbunden.
Die Einsichten, die Hatoum dabei ins Bild setzt, erschließen vielschichtigere Bedeutungsräume als die vordergründigen, abgefilmten Einsichten ins Fleisch, etwa im Abtasten eines menschlichen Hodens oder des eigenen Körpers mit einer endoskopischen Kamera, wie in den Videoarbeiten „Testimony“ (1995 bis 2002) und „Corps etranger“ (1994).
Eingeknickte, schlaff an der Wand heruntergesunkene Krücken, ein Rollstuhl aus Stahl mit zu Messern geformten Griffen, Schaukeln mit Sitzflächen aus scharfkantigem Eisen, eine übergroße Küchenreibe, die den menschlichen Körper leicht verletzen könnte: Hatoums Readymades fassen Bedrohung und Verletzlichkeit in simple, eindringliche Bilder.
Am dichtesten operiert das Objekt „Cage-à-deux“ (2002) mit der Ambivalenz der Zweisamkeit, mit dem Glück und Schmerz der Nähe: ein zu übermenschlicher Größe aufgeblasener Kleintierkäfig aus schwerem Eisen, wie gemacht für zwergenhafte Menschen, denen keine Hoffnung auf Entkommen bliebe. Sie wären zugleich geschützt und gefangen, bezogen allein auf die Gleichförmigkeit zweier identischer weißer Fressnäpfe. Hier ist alles gleichzeitig vorhanden: Einsamkeit und Nähe, Bedrohung und Sicherheit, Ausgesetzt- und Geborgensein. Glück und Schmerz bleiben bei Mona Hatoum stets auf Augenhöhe.
Bis zum 29. August im Kunstmuseum Bonn. Der bei Hatje Cantz erscheinende Katalog kostet 19 €