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Archiv-Artikel

„Der Schutz vor Diskriminierung stärkt die Freiheit“, sagt Matthias Mahlmann

Das geplante Antidiskriminierungsgesetz ist keine unzulässige Einschränkung der Privatautonomie

Frage: Mit dem geplanten Antidiskriminierungsgesetz (ADG) will die Bundesregierung eine EU-Vorgabe umsetzen. Wie kommt es, dass die EU hier so fortschrittlich ist?

Matthias Mahlmann: In den 90er-Jahren gab es in Europa zunehmend rassistische Gewalttaten und Wahlerfolge politischer Fremdenfeindlichkeit. Deshalb wurde 1997 in den EG-Vertrag eine Norm eingefügt, die der EU erlaubt, sich gegen Diskriminierungen einzusetzen. Dann wurde im Februar 2000 in Österreich Jörg Haider an der Regierung beteiligt. Da beschloss der EU-Ministerrat in Rekordzeit die Antirassismus-Richtlinie, die eine Diskriminierung aufgrund von Rasse und ethnischer Herkunft in verschiedenen Bereichen, auch im Privatverkehr, verbietet.

Diese EU-Politik verfolgt also nicht primär wirtschaftliche Zwecke?

Nein, hier hat die EU gezielt ihre menschenrechtliche Identität gestärkt. Es geht dabei um Schritte, Europa als zivilisatorisch anspruchsvolle Sozialordnung entstehen zu lassen.

Die EU fördert also die Gleichheit und begrenzt zugleich die Freiheit. Stimmt dabei die Balance?

Schon die Frage ist ganz falsch gestellt. Wenn ein Mensch aufgrund seiner Hautfarbe keine Chance auf einen Mietvertrag oder einen Diskothekenbesuch hat, dann schränkt dies seine Freiheit erheblich ein. Für ihn bedeutet der Schutz vor Diskriminierung eine Sicherung seiner Freiheit, keine Einschränkung. Diskriminierungsschutz kann dafür sorgen, dass Freiheit allgemein, nicht nur selektiv gewährt wird.

Wie groß ist denn der praktische Bedarf für eine Antidiskriminierungspolitik?

Leider gibt es in Deutschland kaum breit angelegte empirische Untersuchungen hierzu. Das liegt wohl daran, dass wir in diesem Politikfeld so gut wie keine Tradition haben. Einige empirische Hinweise gibt es allerdings. Angesichts der zahlreichen fremdenfeindlichen Gewaltakte kann man zudem davon ausgehen, dass die Opfergruppen auch im privaten Geschäftsverkehr diskriminiert werden.

Der deutsche Gesetzentwurf für die Umsetzung der EU-Richtlinie sieht weitgehende Ausnahmen vom Diskriminierungsverbot vor. In einem „Nähe- und Vertrauensverhältnis“ soll das ADG gar nicht gelten, etwa wenn der Vermieter im gleichen Haus wie die Mieter wohnt. Ansonsten darf ungleich behandelt werden, wenn dafür ein „wichtiger Grund“ besteht. Sind diese Einschränkungen zulässig?

Nein, soweit Diskriminierungen aufgrund von Rasse und ethnischer Herkunft betroffen sind, sind die Einschränkungen eindeutig unzulässig, denn die Antirassismus-Richtlinie lässt solche Ausnahmeregelungen nicht zu.

SPD und Grüne diskutieren seit Monaten, ob das deutsche ADG neben Rasse und Ethnie auch weitere Merkmale enthalten soll, etwa Behinderung, Geschlecht, Alter oder sexuelle Orientierung. Welche Vorgaben hat der Bundestag hier zu beachten?

Die EU-Vorgabe wäre erfüllt, wenn das ADG im zivilrechtlichen Bereich vor Diskriminierung nach Rasse und ethnischer Herkunft schützt. Falls sich das deutsche Gesetz darauf beschränkt, sehe ich allerdings Probleme mit dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes. Der Bundestag müsste gut begründen, warum er Behinderte, Homosexuelle und Alte nicht schützen will.

Ist auch das islamische Kopftuch ein Antidiskriminierungs-Problem?

Es ist primär ein Problem von religiöser Toleranz und der Interpretation der Neutralität des Staates – ob diese säkular verstanden wird oder offen, und damit Bekundungen von Religiösität im Prinzip zulässt. Ein Diskriminierungsproblem ergibt sich allerdings, wenn Religionen unterschiedlich behandelt werden.

Haben Sie nicht Angst, dass das ADG vor allem die Heuchelei fördert?

Wenn Vermieter und Disco-Betreiber nur aus Angst vor Sanktionen auf Diskriminierungen verzichten, dann ist das zwar nicht optimal, aber aus Sicht der Betroffenen schon ein Erfolg.

Wahrscheinlich wird aber weiter ausgegrenzt und dies nur anders begründet …

Dass ein Gesetz auch umgangen werden kann, spricht nicht generell gegen die Regelung. Es wird auch Fälle geben, wo das ADG greift und den Betroffenen von Diskriminierung ein wirksames Instrument in die Hand gegeben wird, sich zu wehren.

Wie wichtig sind Gesetze im Kampf gegen Ausgrenzung und Diskriminierung?

Der beste Schutz gegen Diskriminierungen ist eine Kultur der mitmenschlichen Achtung, die eine Praxis der Ungleichbehandlung erst gar nicht entstehen lässt.

Träumen Sie tatsächlich von einer Welt ohne jede Diskriminierung?

Man muss aufpassen, dass man nicht alles, was moralisch wünschenswert ist, zum Gegenstand rechtlicher Regelungen macht. Zwischen Privaten müssen auch mehr Möglichkeiten zur Ungleichbehandlung bestehen als im staatlichen Bereich. Eine Schwulen-WG soll auch in Zukunft gezielt nach einem schwulen Mitbewohner suchen dürfen und eine Hetero-WG nach einem Hetero.

INTERVIEW: CHRISTIAN RATH