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Archiv-Artikel

Viel Platz im Portmonee

VON BARBARA DRIBBUSCH UND ULRIKE HERRMANN

Nun ist es Gesetz: die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Gestern regelte der Bundesrat letzte Details. Am 1. Januar tritt „Hartz IV“ dann in Kraft.

Die ostdeutschen Länder stimmten geschlossen dagegen. Sie fühlen sich übervorteilt. Zwar sparen die Kommunen in Brandenburg insgesamt 30 Millionen Euro, weil die Arbeitslosenhilfe künftig auf das Niveau der Sozialhilfe sinkt. Doch die Gemeinden in Nordrhein-Westfalen werden um 450 Millionen Euro entlastet. So hatten die Ostländer einen guten Grund mehr, „Hartz IV“ abzulehnen: In Brandenburg und Sachsen wird am 19. September gewählt. Da will man nicht vorher mit sozialen Kürzungen auffallen. Bundesweit sind fast fünf Millionen Menschen von dem Gesetz betroffen, das in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellos ist. Noch nie wurde der Arbeitsmarkt so gründlich verändert. Demnächst verschicken die Arbeitsämter die ersten 17-seitigen Antragsformulare. Vermutlich wird es dann gründlich verunsicherte „Kunden“ geben – Menschen, die viele Fragen haben. Einige Antworten vorab:

Wie hoch ist das Arbeitslosengeld II? Alleinstehende bekommen als Regelsatz des Arbeitslosengeld II im Monat 345 Euro (Osten: 331 Euro). Ehepaare und Paare in Lebensgemeinschaften, in denen beide Partner langzeitarbeitslos sind, erhalten zusammen 622 Euro Regelsatz. Für die Kinder oder nicht erwerbsfähige PartnerInnen gibt es das „Sozialgeld“. Zu den Regelsätzen bekommen die Leistungsempfänger noch die Unterkunftskosten für eine „angemessene“ Wohnung erstattet. Außerdem übernimmt die Arbeitsagentur die Beiträge für Kranken-, Pflege- und eine minimale Rentenversicherung.

Welche Zuschläge gibt es zum Arbeitslosengeld II? Wer vom Arbeitslosengeld I (dem bisherigen „normalen“ Arbeitslosengeld) nächstes Jahr in das Arbeitslosengeld II rutscht, bekommt noch für eine Weile Zuschläge. Der Zuschlag errechnet sich aus dem Differenzbetrag zwischen dem Arbeitslosengeld I plus Wohngeld (falls man welches bekommt) und dem Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Zwei Drittel dieser Differenz gibt es als Zuschlag – für einen Alleinstehenden pro Monat aber höchstens 160 Euro. Nach einem Jahr halbiert sich dieser Zuschlag, nach zwei Jahren fällt er komplett weg. Wer jetzt schon seit Anfang 2004 Arbeitslosenhilfe bezieht, der kann im Januar 2005 beim ALG II immerhin noch Anspruch auf den halben Zuschlag zum früheren Arbeitslosengeld erheben.

Muss man jeden Job annehmen? Was bislang nur für Sozialhilfeempfänger galt, gilt nur auch für Empfänger von Arbeitslosenhilfe: Jeder Job ist zumutbar – so lange der Lohn nicht mehr als 30 Prozent unter Tarif liegt, das wäre sittenwidrig. Bisher galt als Untergrenze die Höhe der Arbeitslosenhilfe – aber die wurde ja durch Schaffung des ALG II drastisch gesenkt. Pendelzeiten von mehr als 2 1/2 Stunden gelten jetzt auch für Empfänger von ALG II als zumutbar.

Was gilt als „angemessene Unterkunft?“ Die Grenzen für eine „angemessene“ Unterkunft orientieren sich an der bisherigen Praxis der Sozialhilfe. Und da legen die einzelnen Städte unterschiedliche Maßstäbe an. In westdeutschen Metropolen gilt z. B. eine 45 Quadratmeter große Wohnung mit einer Kaltmiete von 300 Euro als „angemessen“ für einen Alleinstehenden, in kleineren Städten hingegen können die Mietobergrenzen schon mal unter 250 Euro rutschen. Hinzu kommt immer die Erstattung von Energiekosten. Wer eine – bescheidene – Eigentumswohnung oder ein eigenes Häuschen bewohnt und abbezahlt, für den übernimmt die Arbeitsagentur künftig die Zinszahlungen, nicht aber die Tilgung.

Wie viel vom Lohn wird angerechnet? Bisher galt für Empfänger von Sozial- und Arbeitslosenhilfe, dass sie mindestens 165 Euro ihres Lohnes behalten durften – oder aber bis zu 20 Prozent ihrer Leistungen. Künftig bleiben von einem 400-Euro-Minijob nur noch maximal 60 Euro übrig. Anders ist es bei kommunalen Beschäftigungsangeboten, die ausdrücklich „kein Arbeitsverhältnis begründen“. Wer dort 1 bis 2 Euro pro Stunde bekommt, darf das Geld komplett behalten.

Wie wird das Einkommen des Partners angerechnet? In einer Partnerschaft, in der einer Anspruch auf Arbeitslosengeld II erhebt, werden das gesamte Einkommen und das Vermögen des Paares und seine Wohnkosten berücksichtigt, um die Bedürftigkeit festzustellen. Als Einkommen zählen dabei auch Kindergeld, Rente, Krankengeld oder Arbeitslosengeld I. Bei einem kinderlosen Paar reicht schon ein Einkommen von netto 1.200 Euro, dass keine „Bedürftigkeit“ festgestellt wird und somit die Partnerin oder der Partner kein Arbeitslosengeld II bekommt.

Wie wird das Vermögen angerechnet? Als Freigrenzen für Vermögen gelten pro Person 400 Euro pro Lebensjahr, wobei etwa die Hälfte davon der Altersvorsorge dienen muss. Hinzu kommen Freibeträge für die „Riester-Rente“. Eine 50-jährige Alleinstehende hat also einen Freibetrag von 20.000 Euro an Vermögen, ein Paar in diesem Alter darf nicht mehr als 40.000 Euro besitzen. Auch ein eigenes Auto dürfen ALG-II-Empfänger fahren.

Gibt es Verbesserungen für erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger? Ja, findet die Bundesregierung. Ihre Argumente: Bisher dürfen allein stehende Sozialhilfeempfänger nur 1.279 Euro an Vermögen besitzen. Künftig gelten auch für sie die Eigentumsregelungen des ALG II. Außerdem dürften Sozialhilfeempfänger nun ein „angemessenes“ Auto besitzen. Und der Staat zahlt ihre Krankenversicherung: Sie sind beim Arzt künftig nicht mehr als Sozialhilfeempfänger zu erkennen, weil sie nicht mehr jeden Besuch via Sozialamt einzeln abrechnen müssen. Zudem müssen Eltern nicht mehr für ihre bedürftigen Kinder aufkommen, sofern diese älter als 25 Jahre sind. Und schließlich würden sich allein Erziehende künftig verbessern, die je nach Kinderzahl einen Mehrbedarf zwischen 124 und 207 Euro anmelden können. Bisher waren es durchschnittlich 118,40 Euro.

Was sagen die Sozialverbände? Die verbesserte Vermögensanrechnung nutze den meisten Sozialhilfeempfängern nichts, weil kein Vermögen vorhanden sei. Ein Auto hätten Sozialhilfeempfänger schon jetzt besitzen dürfen – das stand zwar nicht im Gesetz, ist aber vom Bundesverwaltungsgericht so entschieden worden. Und der Zuschlag für die allein Erziehenden würde wieder aufgefressen durch zahlreiche Einbußen.

Welche Verschlechterungen gibt es für Sozialhilfeempfänger? Kinder zwischen 7 und 14 Jahren bekamen bisher 241 Euro, künftig werden es nur noch 207 Euro sein. Kinder ab 14 Jahren erhalten momentan 315 Euro, ab Januar sind es 276 Euro. Gleichzeitig wird das Kindergeld komplett angerechnet – ohne Freibeträge. Allerdings wurde bei Kindern bis 7 Jahren aufgestockt – und sie machen mit etwa einer Million Personen die größte Gruppe in der Sozialhilfe aus. Bisher bekamen sie 148 Euro (bei allein Stehenden 163 Euro), künftig sind es 207 Euro. Neben den Kinderzuschlägen hat sich vor allem die Anrechnung von Nebeneinkünften verschlechtert.