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Archiv-Artikel

Mal hü, mal hott

Senat verabschiedet Globalrichtilinie zur Umsteuerung der Jugendhilfe. Statt Einzelfallhilfen soll Infrastruktur helfen. Kita-Politik ist kontraproduktiv

Sabine Kohlhof: „Die Summe ist nur der Tropfen auf den heißen Stein“

von KAIJA KUTTER

Nicht alles, was der Schwarz-Schill-Senat tut, ist schlecht. Es gibt auch Dinge, die sind nur problematisch. Die Umsteuerung in der Jugendhilfe, für die der Senat am Dienstag eine erste Globalrichtlinie beschloss, gehört dazu. 124 Millionen Euro beträgt der Etat der „Hilfen zur Erziehung“ (HZE). Vier Millionen werden ab 2003 abgezogen und für neue Stadtteilangebote verwandt, die verhindern sollen, dass Familien überhaupt erst in Not kommen.

„Die Ausschreibung für die Projekte ist im Mai angelaufen, die Entscheidungen werden die Bezirke wohl nach der Sommerpause treffen“, sagt Sozialbehördensprecherin Annika Wichert. Der Bezirk Nord war etwas schneller und hat dem Kinder- und Familienzentrum (Kifaz) in Barmbek-Süd für die Ausweitung ihres Familienhebammenprojektes bereits den Zuschlag gegeben. „Wir wollen verstärkt junge Schwangere ab 16 Jahren unterstützen“, berichtet Kifaz-Leiter Helmut Szepanski. Gemeinsam mit dem Verein „Die Gruppe“, der sich um jugendliche Obdachlose kümmert, will man die Lage der jungen Frauen und ihrer Babies stabilisieren helfen, um so zu verhindern, dass sie HZE-Fälle werden.

Die Barmbeker hatten festgestellt, dass es immer mehr junge Schwangere gibt, die keine Wohnung haben und allein deshalb ihr Kind unter sehr ungünstigen Umständen zur Welt bringen. Sozialarbeiter und Hebammen sollen sie in einer Gastwohnung betreuen und anschließend bei der Wohnungssuche helfen.

„Unser Ziel ist, eine Infrastruktur aufzubauen, die spätere ambulante Erziehungshilfen unnötig macht“, erklärt Wichert. Die Reform umfasst jedoch noch einen zweiten Schritt. Gegenwärtig gibt es rund 5000 HZE-Fälle, worunter sowohl stationäre als auch die ambulante Betreuung zählt, bei der Kindern oder Familien stundenweise Sozialarbeiter zugeteilt werden. Dies wird seit den 90ern über so genannte „Fachleistungsstunden“ abgerechnet, die nun durch eine Pauschalfinanzierung abgelöst werden soll. „Wir wollen, dass die Träger ein gesteigertes Interesse daran haben, dass die Familien wieder auf eigenen Füßen stehen“, betont Wichert. Im Gespräch ist, die HZE-Mittel für ambulante Hilfen – rund 26 Millionen Euro – unter den Trägern stadtteilweise aufzuteilen, so dass jeder vor Ort für bestimmte Personen zuständig ist, aber nicht mehr von Einzelstunden profitiert. Derzeit verhandelt die Behörde mit den Trägern über „Versorgungsverträge“.

„Inhaltlich begrüßen wir die Sache. Das Problem ist nur, dass das Budget gedeckelt ist und die Träger mit weniger Geld mehr leisten sollen“, sagt Michael Edele von der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtpflege (AGFW). Zudem ginge die Umsteuerung „viel zu schnell“. Da die Prävention nicht sofort wirke, gebe es ein Zeitloch. Auch blieben jetzt schon Kinder ohne Hilfen.

„Die Reform ist nicht konsequent genug“, sagt hingegen Sabine Kohlhof vom Verband für offene Kinder- und Jugendarbeit. Die vier Millionen seien nur ein „Tropfen auf den heißen Stein“ und reichten nicht aus, die offene Sozialarbeit zu stärken. Es bleibe abzuwarten, ob der Senat dem Bürgerschaftsbeschluss von 2002 folgt, den Prozess fortzusetzen und in 2004 die doppelte Summe umzusteuern.

Völlig kontraproduktiv, sind Edele und Kohlhoff sich einig, ist in diesem Kontext das Kita-Gutscheinsystem. Denn Kitas sind ein wichtiger Teil sozialer Infrastruktur. Wer Kinder dort ausgrenzt, produziert noch mehr HZE-Fälle. Während die Sozialbehörde gerade hü sagt, sagt die Bildungsbehörde eben hott.