: Schwindel von A bis Y
Etliche Klima-Aktivisten werden wegen ihres Protests gegen das Kohlekraftwerk Hamburg-Moorburg juristisch verfolgt. Sie wollen die Verfahren als Werbe-Plattform für den Klimaschutz nutzen
VON KAI VON APPEN
Christiane Schneider ärgert sich. „Die prekäre Lage des Versammlungsrechts in Hamburg ist ein unhaltbarer Zustand“, beklagt die Innenpolitikerin der Linkspartei. Auch wenn die Wurzeln dafür wohl in der Ära von Innensenator Ronald Schill lägen. „Unter schwarz-grün hat sich diese traurige Verfassung nicht geändert“, sagt Schneider. Dies bekommen zurzeit die AktivistInnen des Klimacamps vom vorigen August zu spüren. Viele werden mit Bußgeldern wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz überzogen, obwohl die Polizei zuvor nach Ansicht der Organisatoren selbst gegen das Demorecht verstoßen hat.
Gravierendes Beispiel ist die Spontanaktion von Gegenstrom 08, als rund 40 AktivistInnen am 20. August die Baustelle des geplanten Vattenfall-Kohlekraftwerks Moorburg besetzt und sich von den Baukränen abgeseilt hatten. „Damit sollte ein Zeichen für den Klimaschutz gesetzt werden“, sagt Gegenstrom 08-Sprecher Felix Pithan. Zur Unterstützung versammelten sich damals 150 Menschen vor dem Zaum des Geländes. Doch die Polizei wollte die Versammlung nach einiger Zeit auflösen. „Die Begründung dafür, eine Demonstration sei keine politische Versammlung mehr, wenn Musik gespielt wird, ist absurd“, sagt Tadzio Müller, damals Klimacamp-Sprecher. „Das war absolut rechtswidrig.“
In der Tat verstößt diese Auffassung gegen die Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Das hat entschieden, dass auch eine Art Fest mit Musik, Getränkeständen und Würstchenbuden eine geschützte Versammlung sei, wenn damit politische Inhalte transportiert werden. „Wir saßen vorm Transparent und die Leute hingen an den Kränen“, erinnert sich Müller. Deshalb habe man sich der Aufforderung widersetzt. Während rund 50 Demonstranten nun Bußgeldbescheide in Höhe von 135 Euro erhalten haben, kommt es für Müller noch dicker. Er muss sich heute vor dem Amtsgericht wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verantworten. „Ich soll mich aktiv festgehalten haben“, sagt Müller und erinnert sich: „Als sie mich weggetragen haben, hat ein Polizist gesagt: ’Dem hängen wir auch noch Widerstand an’ – eine reine Rachemaßnahme.“
Solche Konstrukte kennt auch Christiane Schneider: Ihr wurde von der Polizei Hausfriedensbruch vorgeworfen, sie habe während des Moorburg-Protestes das Port Authority-Gelände betreten. Wenn man die Polizeiaussagen liest, sei zwar nicht von „A bis Z“, aber bis „Y“ alles falsch, sagt Schneider. „Es hat mich erstaunt, dass man so lügen kann.“
Auch zehn Aktivisten, die im Rahmen des Camps an einer Aktion gegen den Ilisu-Staudamm in Kurdistan auf der Binnenalster teilgenommen haben, sind mit Bußgeldern belegt worden. Durch das Projekt mit deutscher Beteiligung verlieren 60.000 Menschen ihre Heimat. Da ein Tretboot womöglich in die Bannmeile gelangt ist, wurden beim Eintreffen der Boote beim Verleiher von der Polizei die Personalien aller Bootsmieter aufgenommen. „Wir werden gegen die Bußgelder Widerspruch einlegen“, sagt Fritz Storim von der Bremer Messstelle für Umweltschutz. „Das ist eine grobe Verletzung der Meinungsfreiheit.“
„Der Senat muss dafür sorgen, dass diese absurden Verfahren eingestellt werden“, findet auch Kathrin Henneberger, Bundessprecherin der grünen Jugend. Sie selbst erwartet ein Verfahren wegen Hausfriedensbruch, da sie zu den Kranbesetzern gehört. „Wir werden alle Verfahren als Plattform gegen Vattenfall und die Klimapolitik nutzen“, kündigte Hennberger an.