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Archiv-Artikel

Kollektives Aufbegehren

Sie haben mit der Kamera Demonstrationen, Solidaritätsbekundungen, Flüchtlings- und ETA-Schicksale festgehalten: „200 km“, „Tod in Gibraltar“ und „Das baskische Pelota“ bei den Spanischen Filmtagen im 3001 zeigen Reibungsflächen der dortigen Gesellschaft und Gesamteuropas

Den mühsamen Protestalltag der Demonstranten dokumentiertDie Metapher des erdverbundenen Naturburschenüberstrapaziert

Ein Spanienbild voller sozialer Härte, aber auch der Solidarität bieten die Dokumentarfilme, die im 3001 bei den 5. Spanischen Filmtagen gezeigt werden. 200 km etwa ist schon aufgrund seiner Entstehungsgeschichte ein Film des kollektiven Aufbegehrens: 14 FilmmacherInnen haben mit Kamera und Mikro einen Sternmarsch von ArbeiterInnen begleitet, die nach der Privatisierung der staatlichen Telefongesellschaft von deren Tochterfirma Sintel entlassen worden waren. Im April 2003 liefen sie aus sechs Städten nach Madrid, um dort an der Demonstration am 1. Mai teilzunehmen. Die meisten von ihnen sind seit Jahren arbeitslos, obwohl ihnen nach früheren Protesten eine Anstellung versprochen worden war.

Der Film 200 km zeigt nicht nur Solidaritätsbekundungen, sondern auch, wie mühsam der Protestalltag ist. 200 km endet mit einer Szene, die in Spanien durch die Nachrichten ging: Einer der Teilnehmer des Sintel-Marsches schlägt José María Fidalgo, den Vorsitzenden der Gewerkschaft CC.OO, die sich kaum für die Sintel-Beschäftigten eingesetzt hatte, mit einer Fahnenstange. 200 km erklärt allerdings nicht alle Hintergründe, weshalb einer der Organisatoren der Filmtage, Olaf Berg, eine Einführung geben wird.

Tod in Gibraltar dagegen wurde von seinem Regisseur Joakim Demmer dort gedreht, wo viele ihren Erlebnisurlaub verbringen: „Tagsüber surfen hier die blonden Europäer, freuen sich des Lebens, und nachts werden tote Afrikaner an Land gespült“, erklärt eine dort lebende Frau. Von den Stränden von Tarifa aus, das in der Nähe von Gibraltar liegt, ist an klaren Tagen Afrika zu sehen, die Küste Marokkos liegt nur 20 Kilometer entfernt. Nacht für Nacht wagen Menschen, die keine Einreisepapiere für die EU bekommen können, in winzigen Booten die gefährliche Überfahrt. Niemand weiß, wie viele das Ufer nicht lebendig erreichen. „Tod durch Ertrinken“ stellt der Gerichtsmediziner dann für die Akten fest, und der Leichnam wird innerhalb von 72 Stunden bestattet – wie das Gesetz es vorsieht. „Es ist ein schrecklich trauriger Tod“, sagt der Regisseur. „Aber es war nur logisch, auf die Flüchtlinge zu fokussieren, die bei dem Versuch, Europa zu erreichen, sterben. Ihr Tod ist die äußerste Konsequenz des europäischen Versuchs, die Grenzen zu schließen.“

Tod in Gibraltar begleitet mit der Kamera Helfer vom Roten Kreuz, aber auch Polizisten der paramilitärischen Guardia Civil, deren Aufgabe es ist, diejenigen abzufangen, die es an die spanische Küste geschafft haben. Sie werden festgenommen und zu Tausenden abgeschoben. Zu Tod in Gibraltar wird es ebenfalls eine Einführung geben.

Der dritte Dokumentarfilm der Filmtage, La pelota vasca (Das baskische Pelota), hat in Spanien zu Protesten rechter Gruppierungen vor Kinos geführt. Julio Medem hat mehr als zwei Dutzend Interviews zu einem Film montiert, gerahmt von Sequenzen, die das baskische Ballspiel zeigen. Medem hat sich dabei der nationalen Polarisierung verweigert und nicht nur AnhängerInnen des spanischen Staates, sondern auch der baskischen Unabhängigkeitsbewegung interviewt – auch solche, die sich nicht vom bewaffneten Kampf der ETA distanzieren. Aber er lässt auch Angehörige von Opfern von ETA zu Wort kommen. Was allerdings wirklich stört in dem Film, ist, dass Medem den baskischen Nationalsport Pelota zur Metapher eines Baskisch-Seins an sich erklärt. Überhaupt kultiviert er gern das Bild des rural-erdverbundenen baskischen Naturburschen: So wird etwa auch der unvermeidliche Sport gezeigt, der darin besteht, mit einer Axt möglichst schnell einen Baum durchzuhauen. Wenigstens lernt man so etwas über baskische Sitten.

Gaston Kirsche

„Das baskische Pelota“: 13.7., 21 Uhr + 14.7., 19 Uhr; „Tod in Gibraltar“: 19.7., 19 Uhr; „200 km“: 21.7., 19 Uhr; alle Filme im 3001