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Archiv-Artikel

Pizza im Verteilungskampf

TouristInnen klagen über aggressive Möwen. Auf Helgoland wird das Füttern der Tiere verboten. Vogelschützer sehen das ganz gelassen

Helgoland taz ■ Es hätte eine Freundschaft werden können. „AD 76“ steht auf dem grünen Fußring der Silbermöwe, die an der Kurpromenade auf Helgoland thront. Der kleine Junge hat sich die Nummer gemerkt und freut sich tags darauf auf ein Wiedersehen. In der Hand ein Stück Pizza vom Insel-Italiener. Sieht lecker aus. Leider findet „AD76“ das auch. Sie fliegt einen Scheinangriff auf den Sechs-Jährigen, der lässt vor Schreck das Gebäck fallen. Der Vogel schnappt es und fliegt davon.

Ein paar Tage später knabbert er an einem Brötchen und sitzt friedlich im Sonnenschutzzelt am Strand. Nebenan füttert eine Familie Möwen. Die Eltern gehen derweil spazieren. Gleich zehn Möwen auf einmal hätten die Brötchentüte geplündert, berichtet er später und klagt: „Wieso habt ihr mich allein gelassen? Das war schrecklich!“

„Bitte füttern Sie keine Möwen“, steht auf rotgelben Schildern der Kurverwaltung, angebracht an allen markanten Stellen, auch direkt beim Pizzabäcker. Die Stimmung kippt. Kleine Mädchen jagen den Vögeln auf dem Rathausmarkt hinterher, um sie zu verscheuchen. „Drecksmöwe!“, schimpft eines, bevor es in ihr Teigstück beißt.

„Den Möwen geht es hier auf Helgoland sehr gut“, sagt Kurdirektor Christian Lackner (34). „Sie haben keine natürlichen Feinde.“ So würden auch die Nestgelege von kleineren Vögeln geraubt. Der junge Kurdirektor hat selbst Kinder und kennt das Problem. „Wenn meine Tochter sich gegenüber vom Rathaus eine Pizza holt, kommt die bei mir nicht damit an.“

Das ganze sei ein „Riesenproblem“, die Schilder nur ein erster Versuch, es zu lösen. Genaueres wüsste aber der Leiter der Inselstation der Vogelwarte Helgoland, Ommo Hüppop, zu berichten. Der findet allerdings, dass nicht die Tiere, sondern „die Menschen mit ihrem reichhaltigen Nahrungsangebot“ die Ursache sind. Die Leute fänden es nett, so nah an ein Großtier heranzukommen. Das Fütterungsverbot sei ein Versuch, zu verhindern, dass es zu einer Vertrautheit kommt. Dass Möwen, die extrem lernfähig sind, kleinen Kindern das Frühstück wegnehmen, habe es aber schon immer gegeben. So hat an einem Nordsee-Kurort ein Eiscafe eigens ein Dach installiert, weil die Vögel die Eiskugeln stibitzten.

Doch insgesamt sei der Bestand an Silbermöwen rückläufig. Ohnehin könne sich diese Art, die viel Calzium für die Eierbraucht, nur in Küstennähe fortpflanzen, wo sie Muscheln und Krebse finden. Das zusätzliche Nahrungsangebot offener Müllkippen und Fischereiabfälle hatte nach dem Krieg zur Vermehrung beigetragen. Damals, so der Biologe, hätten im Winter mehrere Tausend auf Helgoland gerastet. Heute hingegen gibt es nur rund 200 Brutpaare.

Eine Bedrohung seien die Vögel auch nicht. Allenfalls, wenn ein Mensch zu nahe ans Nest kommt, könnte es mal einen Kratzer geben. Nur unangenehm ist es halt schon, wenn kindliche Tierliebe nicht erwidert wird. Von besagtem Jungen verabschiedete sich eine Möwe am letzten Tag mit einem Klacks auf die Hose. KAIJA KUTTER