piwik no script img

Archiv-Artikel

Jukebox

Der musikalische Aszendent

Warm da draußen. Welche Musik würde wohl das verantwortliche Hoch „Michaela“ hören? Womöglich „Miami“ von Gun Club. Denn da ist erst einmal der stets gutes Wetter versprechende Titel des Klassikers von 1982, dann natürlich das in Gelb und Grün vor Hitze flirrende Coverbild, drittens gibt es Gitarren, die herumzucken wie kurz vorm Sonnenstich, und schließlich und vor allem die hysterische Stimme von Jeffrey Lee Pierce, die jeden Moment umzukippen droht. „I’m calling up thunder / Hands to the open sky“, schreit Pierce und die Verzweiflung reibt an den Stimmbändern, als wollte er sagen (auch wenn es in dem Song natürlich nicht darum geht): Regen, bitte, ein paar Tröpfchen nur. Man schrieb also das Jahr 1982. Damals sah es so aus: Punkrock war zum gemeinschaftlichen Biersaufen verkommen und New Wave zum besseren Friseusen-Praktikum. Wer etwas auf sich hielt, der hörte Pop. Vor allem Synthesizer galten als ungemein rebellisch. Der Pop hatte damals seine ersten Theoretiker gefunden und die vermitteltem einem das dringende Gefühl, man müsse nur lange genug Scritti Politi hören, zu Human League träumen und zwei, drei Mal zu Gang of Four tanzen, und prompt würde die Revolution ausbrechen. Passierte aber nie. Womöglich war ja „Miami“ schuld, weil diese Platte der elektrischen Gitarre ihre verlorene Würde zurückgab. Was damals nicht so selbstverständlich war, wie man heute denken könnte angesichts der Massen von Mode-Punks, Neo-Rockern und Crossover-Stampfern, die Gitarrenhälse im Musikfernsehen würgen. Damals aber stand die Gitarre kurz vor der Ausrottung, und sie hatte es sich selbst zuzuschreiben. Der Gun Club gab ihr eine neue Gnadenfrist und die wusste sie zu nutzen. Später kam Grunge und Nirvana, und das haben wir nun davon. Mit „Las Vegas Story“ machte der Gun Club zwei Jahre später vielleicht eine sogar noch bessere Platte, aber niemals wieder war Jeffrey Lee Pierce so intensiv wie 1982 und niemals wieder war ich 17 Jahre alt. Nach einer langen Drogenkarriere starb Jeffrey Lee Pierce im April 1996 im Alter von 37 Jahren und ich schrieb meinen ersten Nachruf. So was verbindet.

THOMAS WINKLER