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Archiv-Artikel

Die Bälle des Bösen

Sieger der Herzen in Zeiten des Kalten Krieges: Der Film „The Game of their Lives“ erzählt die unglaubliche Geschichte des nordkoreanischen Teams, das 1966 für diplomatische Verwicklungen und die größte Sensation der Fußball-WM sorgte

„Dentista“ hieß der Torschütze, der Schmerzen wegen, die er Italien zufügte

von DETLEF KUHLBRODT

Hierzulande erinnert man sich an die Fußball-WM 1966 vor allem wegen des so genannten Wembley-Tors, das der sowjetische Schiedsrichter bekanntlich anerkannte, obgleich der damalige Bundespräsident Lübke es ganz anders gesehen hatte. Viele ältere Menschen, Revanchisten mitunter, fühlen sich deshalb hierzulande immer noch betrogen.

Interessanter in jeder Hinsicht waren jedoch die Teilnahme und das Auftreten der nordkoreanischen Fußballnationalmannschaft, die damals als krasser Außenseiter in Zeiten des Kalten Krieges das Viertelfinale ereichte und nicht zuletzt den damaligen WM-Favoriten Italien mit 1:0 bezwang.

Jener Sieg gilt als die größte Sensation der Fußballgeschichte, der damalige Torschütze Pak Doo Ik ist in Nordkorea immer noch ein großer Held, während er in Italien den Beinamen „dentista“ erhielt wegen der Schmerzen, die er dem sonnigen Land zugefügt hatte.

Diese Geschichte wiederholte sich im letzten Jahr bekanntlich ein bisschen, als der damals noch in Italien spielende südkoreanische Stürmer Ahn Jung-Kwaan mit seinem in der Nachspielzeit erzielten Tor Italien nach Hause schickte. Während der Kogastgeber der letzten WM jedoch nur sportlicher Außenseiter gewesen war, hatte schon die Teilnahme der kommunistischen Hälfte 1966 für allerlei diplomatische Verwicklungen gesorgt.

Der Koreakrieg lag erst 13 Jahre zurück, Nordkorea galt viel mehr noch als die Sowjetunion als Feindesland. Wenn man Nordkorea die Teilnahme gestattete, so wurde befürchtet, wäre das der erste Schritt zu einer Anerkennung illegitimer Staaten, dem weitere – die Anerkennung der DDR etwa – folgen müssten.

Schließlich einigte man sich darauf, den Nordkoreanern zu gestatten, ihre Fahne zu hissen, verhinderte aber mit einem kleinen Trick, einer Regeländerung, das Abspielen der nordkoreanischen Nationalhymne auf englischem Boden – abgesehen vom Eröffnungs- und vom Endspiel gab es dann bei der WM 66 gar keine Nationalhymnen mehr zu hören. Während die offizielle Politik Nordkorea als Feindesland betrachtete, verliebten sich die englischen Fans in den radikalen Underdog.

Der wunderbare britische Dokumentarfilm „The Game of their Lives“ erzählt diese und andere Geschichten. Nach jahrelangen Verhandlungen war es den fußballverrückten Regisseuren gelungen, im „Reich des Bösen“ zu drehen und mit den sieben überlebenden Spielern der damaligen Sensationsmannschaft zu sprechen.

Im Herbst letzten Jahres waren die nordkoreanischen Spieler auch zu Gast in England. 35 Jahre lang hatte man von ihrem Schicksal nichts gehört; es war sogar gemutmaßt worden, dass sie nach der WM in einen Gulag gesteckt worden seien zur Strafe dafür, dass sie nach dem Italienspiel angeblich mit englischen Frauen rumgeknutscht und getrunken hätten.

In schnellen Schnitten, unterlegt von einem einerseits sich nie vordrängelnden, andererseits doch nach vorne treibenden Soundtrack, verknüpft der Film verschiedene Ebenen miteinander: historische Aufnahmen, Spielberichte, poppige WM-Poster aus Nordkorea, Interviews – mit nordkoreanischen Spielern, ihren Gegnern, englischen Fans, smarten Fußballhistorikern – sowie Bilder aus dem heutigen Nordkorea und vom letztjährigen Englandbesuch der ehemaligen Nationalspieler, die allesamt immer noch im fußballerischen Umfeld tätig sind und mal ordensbehängte Militäruniformen, mal Trainingsanzüge tragen. Die Spieler treten vor allem als Botschafter ihres Landes auf – ihr großartiger Torwart sagt, ein Torwart sei wie die Armee, die das Land verteidigt. So scheinen sie auch heute noch überrascht davon, dass die englischen Fans sie derart gefeiert haben.

Die grobe Richtung des Films gibt die chronologische sportliche Erzählung vor: überraschende Qualifikation, diplomatische Verwicklungen, 0:3 gegen die SU, der in letzter Minute erreichte Ausgleich gegen Chile, der Sensationserfolg gegen Italien und dann das denkwürdige Ausscheiden gegen Portugal. 3:0 hatten die Nordkoreaner schon geführt, waren aber zu unerfahren, ihren Vorsprung über die Zeit zu bringen, und verloren schließlich mit 5:3 gegen das Team des damals wohl weltbesten Fußballers Eusebio.

Obgleich man weiß, wie die Geschichte ausgeht, fiebert man mit dem nordkoreanischen Team und hofft, dass es gegen die Portugiesen gewinnt. Den Filmemachern gelingt es, eine hohe Spannung zu halten, was vielleicht auch daran liegt, dass das intellektuelle Niveau englischer Fußballberichterstattung auch 1966 um einiges höher war als hierzulande.

Schön auch, dass das Fremde, Befremdliche, politisch Fragwürdige – etwa wenn die Spieler plötzlich anfangen zu schluchzen, während sie vor einer gigantischen Statue ihres verstorbenen Führers von damals erzählen – sich mit quasi archetypischen Mustern – David gegen Goliath – trifft.

Es gab anrührende Verbrüderungen und Freundschaftslieder. Möglicherweise wären die Nordkoreaner noch erfolgreicher gewesen, wenn sie vor dem Portugalspiel nicht in einem katholischen Quartier hätten nächtigen müssen. Dort hätten sie kaum schlafen können, weil ihnen das Bild des Gekreuzigten große Angst machte.

Dan Gordon, der die Bilder aus dem heutigen Nordkorea nicht kommentiert, wurde vorgeworfen, eine unkritische Position gegenüber Nordkorea einzunehmen. Dieser Vorwurf ist billig und unterschätzt das Urteilsvermögen der Zuschauer, die sich ihren Teil selber denken können. „The Game of their Lives“ ermöglichte Begegnungen, die sonst nicht stattgefunden hätten, und ist ein seltenes Highlight im schwierigen Genre des Fußballfilms. Allein: Als Fußballfan hätte man gerne noch die ungekürzten Spielberichte als Bonusfilm gesehen.

„The Game of their Lives“. Regie: Dan Gordon. GB 2002, 80 min.7. 8.–20. 8. Eiszeit Kino