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Archiv-Artikel

Alles Rohstoff

Ein vielseitiger Stilist und Melancholiker, der keinen Unterschied zwischen dem Schreiben und dem Leben kannte, weil „das Leben, sofern es würdig ist, zum Schreiben führt, und das Schreiben, sofern es wahrhaftig ist, zum Leben“: Diese Woche wäre Jörg Fauser 60 Jahre alt geworden. Eine Würdigung

Er hat einfach geschrieben, von morgens bis abends, jeden TagFauser war ein Kultur-Proletarier, aber ohne jede Religiosität, ohne Erlösungshoffnung

VON FRANK SCHÄFER

Jörg Fauser hielt sich selbst für ein mittelmäßiges Talent. Wenn das wirklich stimmt, ich glaube es nämlich nicht, dann hat er sein genetisches Defizit zumindest wett- und allemal vergessen gemacht – mit manischem Ehrgeiz, obsessivem Spaß am Produzieren und einer beinahe schon suspekten, weil kruppstählernen Disziplin. „Er war einer der wenigen Autoren, die ich kenne“, erinnert sich die Fassbinder-Schauspielerin Y Sa Lo in der eben erschienenen ersten Fauser-Biografie, „der wirklich morgens um sieben Uhr dreißig aufgestanden ist, sich an den Schreibtisch gesetzt und wirklich geschrieben hat. So um halb zwölf hat er dann aufgeschaut, und gesagt: Jetzt ist Zeit für einen ersten Hemingway-Drink. Dann hat er weitergeschrieben, mindestens bis vier. Er war keiner von denen, die schreiben, wenn ihnen was einfällt, sondern er hat einfach geschrieben, von morgens bis abends, jeden Tag.“

So hat er sich in nur wenigen Jahren eine Professionalität erarbeitet, von der alle schwärmen, mit denen er zusammengearbeitet hat. Er war schnell, meistens gut, manchmal brillant, und er konnte, wie Harry Rowohlt ihm attestiert, tatsächlich „alles schreiben“: Drehbücher, Hörspiele, Gedichte, Polemiken, Literaturkritiken, Reportagen, Short Storys, Romane, Songtexte – und wenn für ein „Yps“-Heft noch ein paar Sprechblasen zu füllen waren, dann hat er auch das noch gemacht. Der Mann war sich einfach für nichts zu schade. Jedenfalls hatte er keine Berührungsängste gegenüber populären Genres. Im Gegenteil, „die Kopf- und Zopfwelt“, die Sitzriesen aus den gutbürgerlichen Feuilletons, die „Kulturverweser“ konnten ihn in eine ganz ansehnliche Raserei versetzen und Dinge sagen lassen, die auch heute noch nicht falsch sind: „Einen Alltag erfahren diese Schreckgespenste eines troglodytischen Alptraums nicht, greifen ihre Finger doch stets und wie gehabt nach Höherem. Für sie unbeschreibbar, vollzieht sich der Alltag an ihnen um so zerstörender: wenn sie ihn nicht zur Boutique stilisieren können, jagt er sie in die Latrinen der Theorie.“

Aber in einen großen Kopf passen viele Widersprüche. Und so lässt er sich, obwohl er nicht müde wird gegen den „Gesinnungsterror der etablierten Gremienkultur“ zu wettern, trotzdem in Talkshows einladen, bei Enzensberger Edelpostille Transatlantik als Redakteur anstellen und nimmt sogar am Ingeborg-Bachmann-Wettlesen teil – im Hawaiihemd immerhin! Peinlich scheint’s ihm dennoch gewesen zu sein. Seinem Freund Carl Weissner, dem Übersetzer und maßgeblichen Vermittler der US-Underground-Literatur hierzulande, mit dem er und Jürgen Ploog die legendäre Zeitschrift Gasolin 23 herausgeben und Burroughs’ Cut-up-Methode auch in Deutschland etablieren, sagt er lieber nichts davon.

Das sind die Widersprüche dessen, der kein geschlossenes Weltbild hat und schon gar keine Ideologie, der keine Gewissheiten kennt, der nichts gelten lässt als die Welt da draußen und die Erfahrungen, die man in ihr gefälligst zu machen hat. So kann er immer nur von Fall zu Fall entscheiden. Fauser ist schon irgendwie ein Linker, bezeichnet sich selbst als „Kultur-Proletarier“, aber eben ohne jede Religiosität und also auch Erlösungshoffnung. Sein Pragmatismus lässt den Exkommunarden schließlich in die SPD eintreten und regelmäßig die 8. Abteilung des Kreisverbands Schöneberg besuchen, was vor einem Vierteljahrhundert vielleicht noch nicht ganz so peinlich war wie heute, aber auch schon – er hat das durchaus gesehen und in „Der Weg nach El Paso“ hübsch beschrieben: „Also, liebe Freunde, nächsten Sonntag ist es mal wieder so weit – unser Preisskat steht ins Haus …“

So richtig hat er auch hier nicht dazugehört, wie schon eine Dekade zuvor nicht: „Die Revolution hieß Louise, / hatte unglaublich schmale Hüften / blitzende Augen, flatterndes schwarzes / Haar, kam aus Paris / und war Trotzkistin“, schreibt er im Titelgedicht seines zweiten Lyrikbandes „Trotzki, Goethe und das Glück“. Viel mehr war da nicht. Ein bisschen Hausbesetzung noch.

So einer bleibt stets ein unsicherer Kantonist und immer auch für einen Ausfall gut – gegen die „Tränendrüsenpolitik“ der Grünen, gegen die immer noch träumenden Post-68er, die kommunistischen „Schlagwortproduzenten“ etc. Aber gelegentlich fasst man sich schon an den Kopf und fragt sich, ob er jetzt wirklich nur den Advocatus Diaboli spielt: Wenn er etwa in einer seiner berüchtigten Tip-Kolumnen die Suche der US-Truppen nach vermissten GIs verteidigt und die Linke ins Gebet nimmt, ja nicht „Begriffe wie Patriotismus, Kameradschaft, Treue, Mut, Ehre, Würde, Nation, Kampf etc. preiszugeben“, dann wird er selbst zum Schlagwortproduzenten. Und wenn der ehemalige Wehrdienstverweigerer dann auch noch den Fahneneid leistet, kann man das kaum noch ernst nehmen: „Ich zolle jedem Mut Respekt, auch dem des Söldners und Abenteurers, so wie ich jeder Fahne die Ehre, die ihr gebührt, erweise – Blut ist für alle geflossen.“

Was reitet ihn da? Vermutlich einmal mehr die durchaus romantische Empathie für den Mann – und es ist bei ihm immer der Mann – an vorderster Front, der sich in Gefahr begibt, der echte Erfahrungen sammelt, ein Mann mithin, der er selber war, als er sich in Istanbul, im Tophane-Slum, so viel Junk in die Venen pumpte, bis er schließlich nur noch 45 Kilo wog und seine eigene Mutter ihn nicht wiedererkannte. Burroughs, den er in London für eine Reportage über die harten Drogen trifft, rät ihm zum Entzug mit Apomorphin, einem Brechmittel. Und er schafft es tatsächlich. Für Carl Weissner eine „der großen Erfolgsgeschichten der Szene“.

Das ist die Lektion, die man so gründlich, zumindest in der deutschen Literatur, wohl nur bei ihm lernen kann: nämlich „dass es keinen Unterschied zwischen dem Schreiben und dem Leben gibt“, weil „das Leben, sofern es würdig ist, zum Schreiben führt, und das Schreiben, sofern es wahrhaftig ist, zum Leben.“

Am augenfälligsten manifestiert sich Fausers ästhetisches Programm in der verkappten Autobiografie „Rohstoff“, die jetzt als Band 2 der nicht genug zu preisenden Werkausgabe im Alexander Verlag erscheint. „Rohstoff“ ist ein melancholisches, auch desillusioniertes Porträt seiner Generation und der eigenen schriftstellerischen Anfänge. Aber geprägt ist das gesamte Werk davon – schon die frühen Cut-up-Suchtprotokolle „Tophane“ und „Aqualunge“, die asphaltnahen Short Storys, die er zumeist im Tittenheft Lui veröffentlicht, und nicht zuletzt die wunderbaren Blues-Gedichte aus „Die Harry Gelb Story“ und „Trotzki, Goethe und das Glück“, die man gern mit Bukowski verglichen hat. Das ist zwar nicht falsch, nur übersieht man dabei, dass diese Poeme tief verwurzelt sind in der deutschen Geistes- und Krankengeschichte. Denn auch das wird immer wieder vergessen angesichts der coolen Kerle, leichten Mädchen, harten Drogen, eben der Street Credibility seiner Bücher – Fauser war ein belesener, ein gebildeter Autor! Sozusagen aus der Not heraus. Fauser brauchte die Literatur auch – und das ist nur ein weiterer, allerdings sehr produktiver Widerspruch –, um sich vor dem Leben zu schützen: „Beim Schreiben vergaß ich alles andere. Pech war nur, dass man nicht 24 Stunden schreiben konnte, und dann wieder 24 Stunden, das ganze dumme Leben einfach vollschreiben. Aber die Weckamine halfen.“

Matthias Penzel und Ambros Waibel gehen in ihrer hervorragend recherchierten, spannenden, allemal würdigen Biografie „Rebell im Cola-Hinterland“ ihrem Hausheiligen denn auch nicht auf den Leim. Sie erzählen skrupulös und detailreich sein Leben, das mit einem Spaziergang auf der Autobahn am 17. Juli 1987, ausgerechnet an seinem 43. Geburtstag ein frühes und legendenträchtiges Ende nimmt, machen aber nicht den Fehler, das Werk auf die Vita zu reduzieren. Vielmehr beharren sie immer wieder mit guten Beispielen auf dem vielseitigen Stilisten, begnadeten Melancholiker, eben dem Künstler. Der zeigt sich – noch deutlicher als in „Rohstoff“ – in den Gedichten, die man sich übrigens auch mal im „Fauser-O-Ton“ (Trikont), also in der ausgekochten, kühl-beiläufigen, den Geburtshessen nicht ganz verbergenden Diktion des Autors anhören sollte. Und nicht zuletzt in seinem Romanerstling „Der Schneemann“, dem persönlichen Bestseller, der mit Marius Müller-Westernhagen sehr frei, eher komödiantisch, aber ebenfalls erfolgreich verfilmt wurde. Das Buch ist einmal mehr ein Blues, wie eigentlich alles, was Fauser literarisch angefasst hat: Die Geschichte des kleinen Schmugglers Blum, der auf Malta Pornos im allerkleinsten Stil verhökert, durch Zufall an fünf Pfund Kokain gerät, sie in München, Frankfurt und Amsterdam loszuschlagen versucht und doch schließlich alles wieder verliert. Fauser liefert hier ein Stenogramm des Dekadenwechsels. Westdeutschland im Winter, diese seltsame Endsiebziger-Tristesse und die sich bereits ankündigende überfeinerte Dekadenz und lethargische Gleichgültigkeit der Achtzigerjahre, all das wird hier treffsicher eingefangen. Und die Großmetapher ist das Kokain. Kurze, drehbuchartige Szenen geben dem Buch Tempo, und Fausers sanft elegische Kapitelschlüsse zeigen ihn voll auf der Höhe seiner Kunst: „Blum ließ sich die Rechnung bringen. Er hatte das starke Bedürfnis, sich auf dem Klo einzuschließen oder die Notbremse zu ziehen, aber er blieb sitzen, trank noch einen Kaffee und sah zu, wie der Zug in die Chemiezone rollte, wo der Himmel so grün wie eine Wiese war.“

Das muss man können! Fauser konnte das.

Jörg Fauser: Jörg-Fauser-Edition Bd. 1: „Marlon Brando. Der versilberte Rebell. Eine Biographie“. 266 Seiten, 19,50 €; Bd. 2: „Rohstoff“. Roman. 250 Seiten, 19,50 €; Bd. 3 (erscheint im Herbst): „Der Schneemann“. Roman; Bd. 4 (erscheint im Frühjahr 2005) „Trotzki, Goethe und das Glück“. Gesammelte Gedichte; alle Alexander Verlag, Berlin 2004 Jörg Fauser: „Die Harry Gelb Story“. Gedichte. Maro Verlag, Augsburg 2001, 72 Seiten, 12 € Matthias Penzel, Ambros Waibel: „Rebell im Cola-Hinterland – Jörg Fauser. Die Biografie“, Edition Tiamat, Berlin 2004, 288 Seiten, 16 €