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Archiv-Artikel

Im Meer aus grauen Steinen

VON HANS-PETER STIEBING (FOTOS) UND ROLF LAUTENSCHLÄGER (TEXT)

Die geschlossene Gesellschaft musste warten. Sie wartete auf Peter Eisenman, den Architekten des Denkmals für die ermordeten Juden Europas. Eisenman hatte sich zu Beginn des Richtfests quasi zwischen die Stelen verirrt. Ganz tief war er eingetaucht in die dunkelgraue Welt der Betonblöcke, war das abschüssige Gelände auf dem Areal des Holocaust-Mahnmals hinuntergegangen, um die Höhe der Stelen zu demonstrieren. Klein wirkte er da, zerbrechlich zwischen den kantigen und verkanteten Steinquadern, die sich erst langsam, dann immer mächtiger wie ein Gebirge erheben und über einem zusammenzustürzen drohen.

Später, die Richtfest-Reden und Glückwünsche für den Fortgang des Bauwerks waren von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und Berlins Bausenatorin Junge-Reyer oder Lea Rosh, Initiatorin des Mahnmals, überbracht, ging der Architekt noch einmal zu seinem Mahnmal, als wäre nun der Augenblick gekommen, es endlich aus dem Zustand der Planung in die Wirklichkeit und Zukunft zu entlassen: Denn Realität geworden sind 1.450 der rund 2.700 Betonstelen, im Rohbau fertig gestellt ist auch der unterirdische „Ort der Information“ – ein abgesenktes Geschoss unter dem Stelenfeld, in dem einmal das Museum zur Erinnerung an die systematische Vernichtung der Juden während des Nazi-Regimes eingerichtet werden soll. Seine Eröffnung ist am 8. Mai 2005 geplant, 60 Jahre nach Kriegsende.

Die Realität – und weniger der über zehn Jahre gepflegte Erinnerungsdiskurs – des über 27 Millionen Euro teuren Mahnmals ist nicht erst seit gestern erlebbar. Schon seit dem Baubeginn auf der Brache (Foto: Mitte links) vor zwei Jahren pilgern immer mehr Interessierte an den Bauzaun in der Nachbarschaft des Brandenburger Tors. Seit man das Stelenfeld wachsen sieht, wird das 19.000 Quadratmeter große Gelände zu einem Meer aus anstößigen grauen Steinen. Nichts Schönes, sondern ein Dickicht aus Nichts entwickelt sich.

Thierse hatte Recht mit einem Beitrag, dass die Blöcke „nichts Freundliches, sondern etwas sehr Sperriges“ vorstellten. Diese Erinnerung zu pflegen sei nötig, „nicht um der Vergangenheit willen, sondern damit wir in Gegenwart und Zukunft sensibel sind gegenüber Ausländerfeindlichkeit, Intoleranz und Antisemitismus“, so der SPD-Politiker. Nötig sei „Erinnerung um der Gegenwart und Zukunft willen“.

Vielleicht hat sich Eisenman gestern zwischen den Stelen darum etwas länger aufgehalten (siehe Foto), um dieses Missverständnis aufzuklären. Nicht allein für die Vergangenheit, sondern für die Zukunft sei das Mahnmal gestaltet worden. Nein, so Eisenman, die „Wunde inmitten der Stadt“ sei kein Abbild eines jüdischen Friedhofs wie etwa des berühmten in Prag. Es gehe ihm vielmehr um die universelle Erfahrung der Vereinzelung, der „Irritation im Raum“. Die Vorsitzende des Förderkreises zur Errichtung des Denkmals, Rosh, äußerte sich zufrieden über den Fortgang der Bauarbeiten. Das Erscheinungsbild gefalle ihr „sehr, sehr gut“. Es sei sehr beeindruckend, wenn man zwischen den Stelen hindurchlaufe oder wenn man von oben daraufschaue. Die Wirkung widerlege die Zweifler.