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Archiv-Artikel

Seniorennot spaltet Junge Union

Bayerns JU-Chef geht den Bundesvorsitzenden der Jungen Union an: „Mißfelder hat eine Grenze überschritten“, als er Rentnern keine neuen Hüftgelenke gönnte. Der Bayer sieht darin einen Grundsatzstreit in der Union: „Wir haben einen Wertekonflikt“

aus Berlin LUKAS WALLRAFF

Wenigstens im Internet war die Welt der Jungen Union gestern noch in Ordnung. „Mißfelder erhält Rückendeckung“, verkündete die CDU-Nachwachsorganisation auf ihrer Homepage. Als Beleg für die vermeintlich ungeteilte Zustimmung für JU-Chef Philipp Mißfelder dienen Zitate junger Parteifreunde wie der CDU-Bundestagsabgeordneten Katherina Reiche, die Mißfelders Beitrag zur Gesundheitsdebatte „vollkommen richtig“ findet.

Grund für die Solidaritätsbekundung: Mißfelders Sparvorschläge für das Gesundheitswesen. „Ich halte nichts davon, wenn 85-Jährige noch künstliche Hüftgelenke auf Kosten der Solidargemeinschaft bekommen“, hatte der 23-jährige JU-Vorsitzende bekannt. Schließlich seien die Leute früher auch auf Krücken gelaufen.

Mit dieser Meinung steht der Mann jedoch auch in der Union fast allein da. Nicht nur Generalsekretär Laurenz Meyer missbilligte ausdrücklich Mißfelders Attacke auf die Alten. Der jüngste CDU-Bundestagsabgeordnete Jens Spahn (23) sprach von „unausgegorenen Vorschlägen“ Mißfelders und sagte der taz: „Notwendige medizinische Maßnahmen für ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger müssen auch zukünftig unabhängig vom Alter gewährt werden.“ Die heftigste Kritik aber kommt aus München von der Schwesterorganisation. Bayerns JU-Chef Manfred Weber sagte der taz, Mißfelder habe mit seinen Äußerungen „das Wertekorsett der Union verlassen“.

Er könne zwar verstehen, dass man provozieren müsse, um Gehör zu finden, so Weber. „Doch Mißfelder hat eine Grenze überschritten.“ Für den 31-jährigen CSU-Politiker bleibt das Kredo der Partei: „Die Unversehrtheit der Gesundheit ist unantastbar.“ Der Katholik aus Niederbayern sieht in Mißfelders Äußerungen keinen Ausrutscher, sondern einen „Abschied von der Orientierung am christlichen Weltbild“, der sich in der CDU-Jugend zu vollziehen drohe. „Wir haben einen Wertekonflikt“, stellt Weber fest. Die CSU-Jugend, so verspricht er, werde jedenfalls „den Wandel zur reinen Wirtschaftsliberalität nicht mitmachen“.

Braucht sie auch gar nicht, findet Mißfelder, der keinen Konflikt erkennen mag. „Auch ich will keine englischen Verhältnisse“, versicherte der Gescholtene der taz. „Insofern liegen die Wertvorstellungen der JU Deutschlands und der JU Bayerns nicht auseinander.“ Die besonders seniorensensible Reaktion aus Bayern erklärt er sich auch mit dem dortigen Landtagswahlkampf.

Am öffentlichen Pranger stehen so nur die beiden CDU-JungpolitikerInnen Mißfelder und Reiche. „Schämt euch“, schrieb die Bild-Zeitung gestern und ließ 28 erboste Senioren zu Wort kommen. Fazit: „Deutschlands Alte schäumen vor Wut.“ Einer von ihnen, der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler, warf Mißfelder sogar vor, er vertrete „eine Ideologie, die die solidarischen Strukturen unserer Gesellschaft zerstört“.

Die Provokation war gewollt – und sie ist gelungen. Mißfelder genießt den Wirbel, den er ausgelöst hat. Gestern stellte er zufrieden fest: „In den vergangenen Tagen haben wir eine emotionale Debatte erlebt, wie es sie zum Thema Generationengerechtigkeit nie zuvor gegeben hat.“ Für eine Entschuldigung, wie sie der bayerische JU-Chef fordert, sieht Mißfelder keinen Grund. Es sei ihm nur darum gegangen, „auf die Probleme zukünftiger Generationen hinzuweisen“.

Die Gefühle älterer Menschen habe er mit seinen Äußerungen natürlich „nicht verletzen wollen“. Und die Sparmaßnahmen sollten erst in vielen Jahren greifen. Die heutigen Rentner müssten sich also nicht „vor den Äußerungen von mir fürchten“, beruhigt Mißfelder und es klingt so, als ob er schon Minister wäre.