Hinter der Brille sitzt das Ich

Wenn Hamburg zu einem geschlossenen System wird, aus dem es keinen Ausgang gibt, und der liebe Gott ein älterer Herr ist, der nebenan am Fließband steht: Der Regisseur und Filmemacher Oliver Hermann zeigt seine Doku-Collage „Irrläufer – Berichte aus der Psychose“ im Lichtmeß

Dokumentarfilme über psychisch Kranke sind immer eine heikle Angelegenheit, denn sie leben davon, dass die gefilmten Personen mehr von sich preisgeben, als ihnen vielleicht lieb ist. Was sie zu erzählen haben und was sie auch erzählen müssen, damit der Film funktioniert, lässt sich nicht als Geschichte von ihnen abtrennen. Es betrifft sie in ihrem Kern.

Es ist diese Situation der Schutzlosigkeit, der solche Filme schnell problematisch macht. „Man wandelt auf einem schmalen Grad“, sagt der Hamburger Filmemacher Oliver Hermann, der mit psychisch Kranken auch schon Theaterstücke inszeniert hat.

In seiner Doku Irrläufer – Berichte aus der Psychose hat er die Balance gehalten, obwohl gerade die Psychose leicht dazu verführen kann, sich an ihren Symptomen zu delektieren. Psychotiker sind meistens ja völlig klar in ihrem Wahnsystem, von dem sie genau wissen, dass es von den Ärzten für ein solches gehalten wird. Einer der Porträtierten in Hermanns Film, ein älterer Mann mit der Anmutung eines zerstreuten Physikprofessores, raunt verschwörerisch in die Kamera, dass er mit seinen Wahnvorstellungen Schluss machen will. „Nur eines möchte ich vielleicht doch noch sagen, und das betrifft Gott.“

In den folgenden Minuten entwickelt er ganz genau sein System, dass ihn Gott nämlich auserwählt habe. „Ich habe auch ein Bild von Gott bei mir“, sagt der Mann dann plötzlich und zieht das Foto eines älteren Herrn hervor. Wie sich herausstellt, ist es ein Arbeitskollege von ihm, der von seinem Gottsein vermutlich keine Ahnung hat.

Dieser blitzschnelle Umschlag – gerade war da noch Einsicht in die Krankheit, im nächsten Moment ist man schon wieder mitten drin in den Phantasien – wirkt komisch. Doch Hermanns Film weidet sich nicht an dieser Komik, so wenig er sie krampfhaft vermeidet. Er lässt sie einfach geschehen und vertraut darauf, dass sich im Laufe des Films das vollständige Bild von selbst ergibt. Denn eine Psychose ist nicht nur eine Krankheit, bei der die Patienten tolle Geschichten erzählen. Es ist eine Krankheit, die ihnen den Boden unter den Füßen wegzieht, bis da nur noch ein dunkles Loch ist. Es ist der Verdienst von Hermanns Film, dass er in dieses Leiden einen Einblick gewährt. wie

15., 20. + 22. Juli, 20 Uhr, Lichtmeß