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Archiv-Artikel

Meister aller Wolken

Umstrittener Prophet der Minimal Music, der er eigentlich längst entwachsen sein will: Auf Einladung des Schleswig-Holstein-Musikfestivals gastiert der New Yorker Komponist Philip Glass zwei Abende in Hamburg und spielt Klavier

von Alexander Diehl

„Unter den vier Minimalisten ist Philip Glass eindeutig der Popularisierer“, blickte der Musikwissenschaftler Ulrich Dibelius 1988 zurück und fasste damit zwei Axiome der landläufigen Wahrnehmung der Minimal Music zusammen. Vier Komponisten sollen es sein, durch welche die Minimal Music begründet und eingegrenzt wird. Neben Glass gehört sein, wenn man so will, Generationsgenosse Steve Reich dazu; Terry Riley und LaMonte Young, die Kleeblätter drei und vier, werden zuweilen zu einer eigenen, früheren Epoche der Minimal Music erklärt. Geboren wurden indes alle vier zwischen 1935 und 1937, es handelt sich bei der Einteilung in Generationen also kaum um tatsächliche.

Die Musik aller vier – analog zur „Minimal Art“ der 60er Jahre mehr schlecht als recht „Minimal Music“ geheißen – eint, dass sie sich scheinbar oder tatsächlich nicht von der Stelle bewegt. Die Schönheit einer musikalischen Figur (oder auch nur das Interessante daran) scheint sie auszudehnen. Biographisch lassen sich auch andere Parallelen finden, so der immer wieder erwähnte Einfluss von Jazz oder nichtwestlicher Musik.

Nun drückt sich dieser Minimalismus in einer Ereignisarmut aus, die sich nicht unbedingt jedem erschließt. LaMonte Youngs statische, geradezu Ewigkeiten andauernde drones bestehen oftmals aus gerade mal einer notierbaren musikalischen Figur, etwa einem Intervall. Steve Reich dagegen lässt auskomponierte kleine Phrasen anfangs parallel laufen, um sie dann ganz allmählich im Tempo gegeneinander zu verschieben. Auch Philip Glass arbeitet – zumindest in seinen frühen Werken – mit kurzen Motiven, die allenfalls umgruppiert und ansonsten in einem starren, sich endlos wiederholenden Schema angeordnet werden.

Dementsprechend kursierten lange Zeit neben dem Begriff „Minimal Music“ auch Bezeichnungen, die sich mehr auf den Charakter der Musik beziehen: „repetitive Musik“, „meditative Musik“ oder auch „Ac‘ Art“, Letzteres wieder in Anlehnung an die „Op‘Art“, wie sie die bildende Kunst als zeitweilig heiße Angelegenheit kennt.

Hat man sich erst mal auf die erwähnte Vier-Köpfe-Struktur geeinigt, kommt Glass dann tatsächlich die Rolle dessen zu, der das (Unter-)Genre einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat, popularisiert also – oder verwässert, wahlweise auch: mit Zuckerguss verziert. Etwa durch seine zahlreichen Filmmusiken: Bekannt machte ihn in der halben Welt Godfrey Reggios Quasi-Dokumentarfilm Koyaanisqatsi (1983). Dessen erklärt zivilisationskritischen Blick auf die Globalisierung – die man damals freilich noch nicht so nannte – vertonte Glass mit seinen typischen Dreiklang-Variationen nicht bloß, sie bedingten einander geradezu.

Mit Reggio arbeitete Glass noch mehrere Male zusammen, abseits der Arthouse-Kinos war seine Musik auch in Multiplex-Sälen zu hören: im zweitklassigen Slasher-Streifen Canymans Fluch etwa, später in der Truman Show oder auch in Martin Scorseses Dalai-Lama-Epos Kundun. Richtig übel nahmen Glass aber die Puristen unter seinen Zuhörern, dass er sich bereits ab Mitte der 70er kompositorisch in immer üppigeren Regionen bewegte; dass er wieder auf romantischen Pomp und große Formen zu setzen schien und irgendwann sogar damit anfing, eine Oper nach der anderen zu schreiben.

Während das europäische Publikum in den vergangenen Jahren immer wieder Gelegenheit hatte, von Glass großes Musiktheater zu sehen, offeriert das Schleswig-Holstein-Musikfestival jetzt – neben einem Programm mit dem Koda-Spieler Foday Musa Suso, das einmal unter dem Titel The Screens erschien, jetzt aber nicht mehr so heißen darf – einen Abend mit Glass alleine am Klavier. Dabei wird er, so ist zu vernehmen, neben seinen Etüden auch solche Stücke spielen, die eigentlich für Tanztheaterbühnen erdacht wurden. Ein logischer Schritt, nachdem er die Tourneen mit dem eigenen Ensemble als zu aufreibend empfand, aber nicht davon lassen will, die eigenen Werke selbst zu spielen. „Wenn ich allein auf Tour gehe, ist das heute eine sehr angenehme Angelegenheit“, so Glass einmal. „Ich brauche keinen Tourmanager und habe keine Noten dabei – was ich brauche, habe ich im Kopf.“

Philip Glass und Foday Musa Suso: Sa, 21 Uhr, Kampnagel; Glass solo: Mo, 20 Uhr, Rolf-Liebermann-Studio des NDR, Oberstr. 120