: Unvollendetes Puzzle
AUS AUGSBURG JÖRG SCHALLENBERG
Eigentlich standen am vergangenen Donnerstag im Verhandlungssaal 101 des Augsburger Landgerichts nur noch die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung auf der Tagesordnung. Pflichtprogramm. Doch weil im Steuerstrafprozess gegen Max Strauß, 44, fast nichts so planmäßig ablief wie in einem normalen Verfahren, ahnte Richter Maximilian Hofmeister vermutlich schon Böses, als er den nicht gerade kleinen und offensichtlich noch leicht ungeordneten Stapel Papier auf dem Tisch von Verteidiger Wolfgang Dingfelder erblickte.
Verblüfft schaute der Überraschungen wahrlich gewohnte Richter dann aber drein, als sich der Haufen als eine Sammlung von Kontoauszügen erwies, die darüber hinaus ausgerechnet von der Verwaltungs- und Privatbank (VP-Bank) in Liechtenstein stammen. In allerletzter Minute hatte die Verteidigung damit Entlastungsmaterial aus der Aktentasche gezaubert, das zuvor monatelang als unerreichbar galt.
Die Auszüge sollen beweisen, dass der Waffenhändler Karl-Heinz Schreiber über jene 2,66 Millionen Euro an Provisionen, die Max Strauß von ihm erhalten und laut Staatsanwaltschaft nicht versteuert haben soll, stets selbst verfügte und Teile des Geldes munter zwischen eigenen Konten, etwa in der Schweiz und in Liechtenstein, hin und her schob, damit Rechnungen bezahlte und eine Wohnung kaufte – in Liechtenstein.
Dass es Karl-Heinz Schreiber, derzeitiger Wohnsitz Kanada, Schlüsselfigur im Strauß-Prozess wie auch in diversen anderen Affären in der Grauzone zwischen Politik und Wirtschaft, dort gut gefallen würde, kann man nachvollziehen. Denn das kleine, von Banken übersäte Liechtenstein gewährt anderen Staaten in Steuerverfahren keine Rechtshilfe. Genau deshalb kam das Augsburger Gericht auch bislang nicht an die Bankbelege heran – obwohl etwa Franz Georg Strauß, der jüngere Bruder des Angeklagten, in einer spektakulären Aussage darauf bestand, Insidertipps aus der VP-Bank bekommen zu haben, die die Unschuld von Max beweisen würden.
Weil die strengen Liechtensteiner Bankgesetze jede Herausgabe von Bankunterlagen an Dritte unter schwere Strafe stellen, wollte Strauß-Verteidiger Dingfelder am vergangenen Donnerstag auch nicht preisgeben, aus welcher Quelle die Kontounterlagen stammen. Nach dem Auftritt von Franz Georg Strauß vor Gericht dürfte aber die Spekulation erlaubt sein, dass er weiter auf eigene Faust in Liechtenstein recherchiert und ein wenig Privatdetektiv gespielt haben dürfte.
Die Staatsanwaltschaft ließ sich vom letzten Joker der Verteidigung nicht beeindrucken. Dreieinhalb Jahre Haft für Max Strauß forderte Anklagevertreter Christoph Wiesner am vergangenen Donnerstag – wenn auch etwas später als geplant, denn sämtliche Kontoauszüge mussten zunächst als Beweismittel verlesen werden. Das Urteil gegen den ältesten Sohn von Franz Josef Strauß wird morgen verkündet werden. Für die Staatsanwälte steht fest, dass nicht Schreiber, sondern Max Strauß Anfang der 90er jahrelang über 5,6 Millionen Mark Provision verfügen konnte, die aus Airbus- und möglicherweise Panzerlieferungen nach Thailand und Kanada aus den Jahren 1985 bis 1988 stammen sollen. Das Geld hatte Schreiber auf ein Schweizer Konto transferiert, das zunächst unter dem Namen „Master“, später unter „Maxwell“ geführt wurde.
Heute ist das Konto leer, der endgültige Verbleib des Geldes ungeklärt. Die Augsburger Staatsanwälte belegen ihre Theorie vor allem mit Eintragungen aus einem Terminkalender Schreibers, der bei einer Hausdurchsuchung im bayerischen Kaufering beschlagnahmt wurde – dort besaß Schreiber eine Firma. Eine Reihe von Vermerken in diesem Kalender sowie Datenreste auf einer ebenfalls sichergestellten, später unter höchst merkwürdigen Umständen verschwundenen Computer-Festplatte von Max Strauß deuten, so die Staatsanwaltschaft, darauf hin, dass jenes Schweizer Konto zunächst für den „Master“ Franz Josef Strauß bestimmt war und nach dessen Tod im Oktober 1988 auf seinen Sohn „Maxwell“ Max Strauß überging.
Weitere Beweise konnten im Prozess, der bereits über ein halbes Jahr dauert, allerdings nicht erbracht werden. Lediglich ein früherer Geschäftspartner von Schreiber, der Schweizer Giorgio Pelossi, bestätigte die Zahlungen an Strauß senior und junior, jedoch ohne irgendwelche Unterlagen vorweisen zu können. Die Verteidigung hat vor dem morgigen Urteilsspruch deshalb auf Freispruch plädiert. Dass es für ihren Mandanten eng werden könnte, scheinen die insgesamt drei Anwälte allerdings zu ahnen – nur so ist wohl das plötzliche Auftauchen der Kontoauszüge aus Liechtenstein zu bewerten. Zuvor hatten die Verteidiger bereits mit allen Mitteln versucht, eine zweite Theorie über die wahre Bestimmung der Millionenprovisionen zu erhärten. Denn Karl-Heinz Schreiber, von dem das Geld schließlich stammt, hatte behauptet, das Schweizer Konto sei zum Bunkern von Schwarzgeld für die CSU angelegt worden – auf Weisung von Franz Josef Strauß. Doch das einstige CSU-Mitglied Schreiber ist mit seiner alten Partei inzwischen hoffnungslos verkracht, ungefähr so glaubwürdig wie ein Baron auf einer Kanonenkugel und zudem bislang in Kanada dem unmittelbaren Zugriff der deutschen Justiz entzogen.
Das Verschwinden von Auslieferungsanträgen und die kaum zufällige Verschleppung des Auslieferungsverfahrens gehören dabei zu den vielen, vielen Seltsamkeiten rund um den Strauß-Prozess. Die CSU-Spur und die Hartnäckigkeit der Verteidigung führten zumindest im Juni zu einem wahren Auflauf an christlich-sozialer Prominenz vor Gericht, der allerdings außer schönen Bildern für die Fernsehteams – wie allgemein erwartet – überhaupt nichts brachte. Eher grenzte es an eine Farce, als nacheinander der CSU-Chef und FJS-Vertraute Edmund Stoiber, zwei frühere CSU-Schatzmeister und die bayerischen Landesminister Faltlhauser, Wiesheu und Huber in Vernehmungen von jeweils vier bis zehn Minuten Länge angaben, nie etwas von schwarzen Kassen gewusst zu haben.
Auf die ebenfalls von der Verteidigung geforderte Vernehmung des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl verzichtete das Gericht von vornherein. Selbst die begierigen Kameraleute zogen nach dem Auftritt von Edmund Stoiber im Übrigen lange Gesichter. Denn der ließ zwischen sich und der Anklagebank eine Wand von Leibwächtern aufmarschieren, sodass vor der Vernehmung kein Bild möglich war, auf dem er und Max Strauß zusammen zu sehen wären.
Dieser Schachzug passte bestens zu dem Eindruck, den man als Beobachter nach dem Abgang der CSU-Riege bekommen musste: Derart rapide waren die Konstruktionen der Strauß-Anwälte in sich zusammengefallen, dass man sich verblüfft die Augen rieb und irgendwie meinte, das Ganze nur geträumt zu haben. Doch leider war das alles pure Realität, ebenso wie die verzweifelten Versuche der Verteidigung, den psychisch angeschlagenen Strauß für verhandlungsunfähig erklären zu lassen. Das scheiterte allerdings am unnachgiebigen Augsburger Gerichtsarzt Richard Gruber. Daraufhin verweigerte Strauß während des gesamten Prozesses jegliche Aussage, was wiederum Richter Hofmeister sichtlich erboste. Fortan erkundigte er sich zu Beginn jedes Verhandlungstages zuckersüß nach dem Befinden des werten Angeklagten und fragte zwischendurch immer mal wieder, „ob Sie, Herr Strauß, nicht vielleicht doch zu dieser Aussage was anmerken möchten? Na? Nein? Wie schade“. Das beharrliche Schweigen von Strauß und der Umstand, dass er nach einem Zusammenbruch während des gesamten Verfahrens in psychiatrischer Behandlung war, bewahrten ihn allerdings nicht davor, zwischenzeitlich in einem anderen Verfahren wegen Beihilfe zum Anlagebetrug zu einer Geldstrafe von 300.000 Euro verurteilt zu werden. Das Geld muss Strauß bis morgen bezahlen – ansonsten könnte es auf eine mögliche Haftstrafe noch mit angerechnet werden.
Egal wie das Augsburger Gericht morgen urteilt, in jedem Falle ist wohl mit einer Revision oder einer Berufung und damit einem weiteren Prozess zu rechnen. So lange die Hintermänner jener Geschäfte, aus denen die strittigen Provisionen stammen, aber nicht vor Gericht gestellt werden können, wird der Prozess gegen Max Strauß immer etwas Bruchstückhaftes vermitteln. Er wirkt oft wie das kleine, zufällig an die Oberfläche gespülte Teil eines Ganzen, zu dem die wichtigeren Puzzlestücke fehlen. Weder die Indizienkette der Staatsanwaltschaft noch die Argumente der Verteidigung wirken restlos überzeugend. Erst wenn Schreiber oder auch Staatssekretär Holger-Ludwig Pfahls jemals vor deutschen Gerichten umfassend aussagen müssen, wird sich wohl herausstellen, worum es bei den unversteuerten 2,66 Millionen Euro tatsächlich ging – und wem sie gehörten.
Max Strauß indes, der zweifellos bei diversen zweifelhaften Geschäften kräftig mitgemischt hat, bleibt wohl auf der Strecke. Seine Zulassung als Rechtsanwalt hat er abgegeben, der Makel des psychisch Kranken bleibt, womöglich muss er ins Gefängnis. Immerhin – aus der psychiatrischen Behandlung kann er in dieser Woche entlassen werden.